Stich einer Barrikade in der Kölner Innenstadt am 25.09.1848. Im Hintergrund der Kölner Dom

Das Revolutionsjahr 1848

Carl Schurz hatte gerade mit seinem Studium der Geschichte und Philologie an der Bonner Universität begonnen, als die Revolution von 1848/49 ausbrach. Auch im Rheinland überschlugen sich die Ereignisse.
Ich hoffte, den schlimmsten Stürmen des Lebens entronnen zu sein und einer ruhigen Laufbahn entgegen zu gehen."
Carl Schurz
Studium in BonnStudium in Bonn

Als sich der 18-jährige Carl Schurz 1847 an der Bonner Universität einschrieb, hatte er bereits als Gasthörer Vorlesungen gehört und hoffte, „einer ruhigen Laufbahn entgegen zu gehen“, wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt. Sein Ziel war es, eines Tages Geschichtsprofessor zu werden. Als Schwerpunkt schwebte ihm Europa zur Zeit der Reformation vor. Weil er zudem glaubte, schriftstellerische Fähigkeiten zu besitzen, begann er damit, eine Tragödie über Ulrich von Hutten zu schreiben.

"Groß, schlank und hager, gab er nichts auf Haltung, sondern saß, stand und ging, wie es ihm bequem war. (…) Die hellen lebhaften Augen waren stets von einer Brille bedeckt, welche die Neigung hatte, auf der etwas eingebogenen Nase nach unten zu rutschen, und dann mit einem energischen Ruck des Zeigefingers hinaufgeschoben wurde."

 

Friedrich Spielhagen, Mitburschenschaftler, über Carl Schurz

 

 

Schurz trat der 1845 gegründeten Burschenschaft Frankonia bei, die „gemäßigt progressistische Positionen“ vertrat, so der Historiker Björn Thomann: „Das Duell wurde aus ‚sittlichen‘ Motiven ebenso verworfen wie der rituelle Trinkzwang. An der traditionellen korporativen Organisationsstruktur hielt man jedoch fest.“

 

Allzu viele Vorlesungen habe Carl Schurz wohl nicht gehört, konstatierte der Bonner Historiker Max Braubach, doch besuchte er mindestens eine Vorlesung zu Literatur und Kunstgeschichte sowie einen Kurs rhetorischer Übungen von Professor Gottfried Kinkel. Und schon bald lernte der Student den „hochgesinnten Pfarrerssohn aus Oberkassel, der von der Theologie zu Dichtung, Literatur und Kunst übergewechselt war“ (Braubach), näher kennen, was für Schurz‘ späteres Leben von entscheidender Bedeutung werden sollte.

Porträtzeichnung von Carl Schurz, 1850. "Studiosus Schurz - Befreier des Professor Kinkel"

Porträtzeichnung von Carl Schurz, 1850: "Studiosus Schurz - Befreier des Professor Kinkel"

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_208
Freundschaft mit KinkelsFreundschaft mit Kinkels

"Das Kinkelsche Haus [bildete] den Mittelpunkt eines Kreises geistesverwandter Menschen, deren gesellige Stunden an geistvoller Fröhlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen."

 

Carl Schurz

Der 32-jährige Gottfried Kinkel war mit der Pianistin, Komponistin und Schriftstellerin Johanna Kinkel verheiratet. Sie war nicht nur fünf Jahre älter als er, sondern hatte bereits eine erste Ehe hinter sich, die geschieden worden war – ein Riesenskandal zur damaligen Zeit. Schurz freundete sich mit beiden an und ging im „Kinkelschen Haus“ ein und aus. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er über Gottfried und Johanna, „daß sie aneinander ihre herzliche Freude hatten und die Kämpfe des Lebens mit einer Art von herausfordernder Heiterkeit zusammen durchkämpften“.

Revolution im RheinlandRevolution im Rheinland

"Da kam plötzlich ein gewaltiger Schicksalssturm, der mich wie so viele andere mit unwiderstehlicher Macht aus allen vorausgeplanten Bahnen riß."

 

Carl Schurz

 

 

Ende Februar 1848 wurden in Bonn die revolutionären Ereignisse in Paris bekannt: der Sturz von König Louis-Philippe von Orléans und die Ausrufung der Zweiten Französischen Republik. Der Funke sprang schnell über. „Das Wort Demokratie war bald vielen Zungen geläufig“, beschrieb Carl Schurz die Stimmung im Rheinland. Man habe über Forderungen diskutiert wie die Berufung eines Nationalparlaments und bürgerliche Rechte und Freiheiten wie „freie Rede, freie Presse, freies Versammlungsrecht“. In den folgenden Wochen und Monaten überschlugen sich die Ereignisse.

Köln, März 1848Köln, März 1848

"In Köln herrschte drohende Gärung."

 

Carl Schurz

 

 

Am 2. März wurde Carl Schurz 19 Jahre alt, einen Tag später gingen in Köln die Massen auf die Straßen. Es habe „drohende Gärung“ geherrscht, so Schurz: „In den Wirtshäusern und auf den Straßen erklang die Marseillaise, die damals noch in ganz Europa als die allgemeine Freiheitshymne galt. Auf dem Domhof und auf dem Altenmarkt wurden große Versammlungen gehalten, um die Forderungen des Volkes zu beraten.“

 

Angeführt vom Armenarzt Andreas Gottschalk und vom Arbeiterführer Fritz Anneke zogen etwa 5.000 Menschen zum Rathaus, um ihre Forderungen nach demokratischen und sozialen Rechten vorzubringen. Als preußische Soldaten die Versammlung auflösten, brach Panik aus, und einige Menschen drängten ins Rathaus. Daraufhin sprangen zwei Ratsherren aus dem Fenster, und einer von ihnen brach sich ein Bein. Gottschalk und Anneke wurden kurzzeitig verhaftet.

Bonn, März 1848Bonn, März 1848

"Fast jedermann trug bald die schwarz-rot-goldene Konkarde an Mütze oder Hut."

 

Carl Schurz

In Bonn fand am 20. März eine große Demonstration statt, bei der Gottfried Kinkel eine entscheidende Rolle spielte. In seinen Erinnerungen schreibt Schurz: „Eine große Volksmenge sammelte sich zu einem feierlichen Zuge durch die Straßen der Stadt. (…) An der Spitze des Zuges trug Kinkel eine schwarz-rot-goldene Fahne. Auf dem Marktplatz angekommen, bestieg er die Freitreppe des Rathauses und sprach zu der versammelten Menge (…) von der Freiheit und den Rechten des deutschen Volkes (…). Man klatschte in die Hände, man schrie, man umarmte sich, man weinte. Im Nu war die Stadt mit schwarz-rot-goldenen Fahnen bedeckt.“

Bonn, Sommer 1848Bonn, Sommer 1848

"Unzweifelhaft förderte der neunzehnjährige Journalist und Volksredner sehr viel unverdautes Zeug zutage, aber er glaubte aufrichtig und heiß an seine Sache."

 

Carl Schurz über sein Engagement im Sommer 1848

 

 

Kinkel wurde bald zu einer zentralen Figur der revolutionären Bewegung in Bonn. Unter seiner Führung wurde am 31. Mai der Demokratische Verein gegründet, von Schurz „Klub“ genannt. Ab August war Kinkel auch Redakteur der im Mai gegründeten Bonner Zeitung, in der die demokratische Botschaft verbreitet wurde. Schurz hatte als Mitarbeiter täglich einen oder mehrere Artikel zu liefern. Zudem wanderten die beiden ein- bis zweimal die Woche in die Ortschaften im Bonner Umland, „um den Landleuten das politische Evangelium der neuen Zeit zu predigen und auch dort demokratische Vereine zu organisieren“, so Schurz im Rückblick.

 

Es bildeten sich verschiedene politische Strömungen heraus, und wie nicht anders zu erwarten, kam es zu Richtungskämpfen. Schurz nennt drei Gruppen: die Konservativen, „denen es hauptsächlich um die Herstellung der Ordnung und Autorität zu tun war“, die Konstitutionellen, „die dem langsamen Fortschritt huldigten und eine demgemäße Verfassung wünschten“, und schließlich die Demokraten, zu denen er und Kinkel zählten, die eine neue Ordnung auf „breitester demokratischer Grundlage“ forderten. In seiner Aufzählung fehlen allerdings die Kommunisten, obwohl diese in Köln überaus aktiv waren: Ab 1. Juni 1848 erschien dort die Neue Rheinische Zeitung, die radikaler war als die Bonner Zeitung und ihr Konkurrenz machte. Chefredakteur des Blatts war Karl Marx, Friedrich Engels war fester Mitarbeiter.

Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Nr. 301. Köln, Samstag den 19. Mai 1849

"Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie" Nr. 301. Köln, Samstag den 19. Mai 1849

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_2080
Köln, Sommer 1848Köln, Sommer 1848

„Niemals habe ich einen Menschen gesehen von so verletzender, unerträglicher Arroganz des Auftretens.“

 

Carl Schurz über Karl Marx

 

 

Als im August in Köln der erste Rheinische Demokratenkongress stattfand, vertraten Carl Schurz und Gottfried Kinkel den Bonner Demokratischen Verein. In der Neuen Rheinischen Zeitung erschien am 13. September 1848 eine Art Protokoll des Treffens. Darin heißt es: „Schurz, vom demokratischen Verein zu Bonn berichtet über das rasche Steigen der dortigen Demokraten-Partei, welche anfangs scheinbar gar keinen Boden gehabt hat.“ 

 

Bei diesem Kongress lernte Carl Schurz auch Karl Marx kennen, der „damals 30 Jahre alt und bereits das anerkannte Haupt einer sozialistischen Schule war“, wie er in seinen Erinnerungen schreibt. Der „untersetzte, kräftig gebaute Mann mit der breiten Stirn, dem pechschwarzen Haupthaar und Vollbart und den dunklen blitzenden Augen“ habe sofort die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Doch der Eindruck, den Schurz gewann, war alles andere als vorteilhaft: „Was Marx sagte, war in der Tat gehaltreich, logisch und klar. Aber niemals habe ich einen Menschen gesehen von so verletzender, unerträglicher Arroganz des Auftretens. Keiner Meinung, die von der seinigen wesentlich abwich, gewährte er die Ehre einer einigermaßen respektvollen Erwägung. Jeden, der ihm widersprach, behandelte er mit kaum verhüllter Verachtung.“ 

 

Der Historiker Daniel Göske, der Schurz‘ Lebenserinnerungen 2015 neu herausgegeben hat, erwähnt, dass es im Streit zwischen Marx und Kinkel bei diesem Kongress fast zu Handgreiflichkeiten kam, und dass sich Schurz – abgesehen von der zitierten Passage – nicht mehr ausführlich zu Marx geäußert habe. Der Name von Friedrich Engels falle ebenso wenig wie das Wort „kommunistisch“.

Frankfurter Paulskirche, September 1848Frankfurter Paulskirche, September 1848

"So viel ist gewiß: blamirt sich jetzt die deutsche Nation, so ist sie für sehr, sehr lange blamirt."

 

Carl Schurz, Brief an Theodor Petrasch, 18. September 1848

Die Deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche

Die Deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_167

Im September vertrat Carl Schurz die Bonner Universität beim Studentenkongress in Eisenach. Auf dem Weg dorthin besuchte er die Nationalversammlung, die seit dem 18. Mai in der Frankfurter Paulskirche tagte. Die politische Lage war angespannt, und das Parlament hatte keine Machtmittel. Vor seiner Abreise schrieb Carl Schurz an seinen Freund Theodor Petrasch: „Jch werde eilen, nach Frankfurt zu kommen, denn wer weiß, ob man etwa über 14 Tage noch das Parlament dort finden wird.“ Er fürchtete eine Blamage der Nationalversammlung, was bedeuten würde, dass die deutsche Nation „sehr, sehr lange blamirt“ wäre.

 

Wie prophetisch seine Worte waren, konnte der 19-jährige Carl Schurz nicht ahnen. Tatsächlich sollten die Bemühungen der Paulskirche um eine Verfassung und die Errichtung eines deutschen Nationalstaats scheitern – allerdings erst im April 1849, als der preußische König Friedrich Wilhelm IV die deutsche Kaiserkrone ablehnte, die ihm das Parlament angetragen hatte.

Das erste deutsche Parlament in der Paulskirche zu Frankfurt, ca. 1850

Das erste deutsche Parlament in der Paulskirche zu Frankfurt, ca. 1850

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_224

"[Das Parlament] vergaß, daß in gewaltsam bewegter Zeit die Weltgeschichte nicht auf den Denker wartet. Und so sollte ihm alles mißlingen."

 

Carl Schurz

 

 

Ein halbes Jahrhundert später zog Carl Schurz in seinen Lebenserinnerungen Bilanz: Das Parlament habe die Gunst der Stunde verscherzt, so seine Analyse, denn in den ersten Monaten der Revolution würde sich kein Fürst geweigert haben, „die Kaiserkrone mit einer noch so demokratischen Verfassung anzunehmen“. Stattdessen litt das Parlament „an einem Übermaß von Geist, Gelehrsamkeit und Tugend und an einem Mangel an derjenigen politischen Erfahrung und Einsicht, die erkennt, daß das Bessere oft der Feind des Guten ist“. Es habe „durch eigensinniges Bestehen auf dem Minderwesentlichen die Erreichung des Wesentlichen gefährdet“, so der erfahrene Staatsmann im Rückblick.