Einmarsch preußischer Truppen in Rastatt, 1849

Das Revolutionsjahr 1849

Weil die Situation im Rheinland 1849 zunehmend aussichtslos war, schloss sich Carl Schurz den Aufständischen in der Pfalz und in Baden an. Als die Preußen die Festung Rastatt belagerten, gelang ihm auf abenteuerliche Weise die Flucht.
Es war mir klar, daß, wenn irgendwelche Früchte der Revolution gerettet werden sollten, jetzt alles gewagt werden müsse."
Carl Schurz
Fehlschlag in SiegburgFehlschlag in Siegburg

Im März 1849 verabschiedete die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche eine Verfassung und wählte den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zum deutschen Kaiser. Als dieser im April die Kaiserkrone ablehnte, forderte die Nationalversammlung das deutsche Volk auf, die Verfassung zu verteidigen. Daraufhin kam es in verschiedenen Orten zu Aufständen, unter anderem in Wuppertal-Elberfeld. 

 

Die Bonner Demokraten um Gottfried Kinkel wollten die Elberfelder unterstützen und fassten den Plan, das Zeughaus in Siegburg zu stürmen, um sich dort Waffen zu besorgen: „Es gab dort Musketen mit allem Zubehör genug, um eine ansehnliche Schar zu bewaffnen, die sich dann leicht mit den Aufständischen hätte in Verbindung setzen, eine bedeutende Macht bilden und den Aufstand nach allen Seiten ausbreiten können.“ Dies war der Plan, der den Bonnern „mit größerer oder geringerer Klarheit durch den Kopf ging“, so Carl Schurz in seinen Memoiren.

Zeughaus (Siegburg), erbaut 1830/1831, bekannt durch den Zug der Freischärler 1848/49 unter Gottfried Kinkel und Carl Schurz

Das Zeughaus in Siegburg, erbaut 1830/1831, bekannt durch den Zug der Freischärler 1849 mit Gottfried Kinkel und Carl Schurz

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_2360

Der Sturm auf das Siegburger Zeughaus war für die Nacht vom 10. auf den 11. Mai geplant. Die Führung übernahm der ehemalige Artillerieleutnant Fritz Anneke aus Köln. Am Abend verabschiedete sich Schurz von seinen Eltern, die seine politische Gesinnung teilten: „Wie eine der spartanischen Frauen oder der römischen Matronen, von denen wir lesen, holte meine Mutter mit eigener Hand meinen Säbel aus der Ecke und gab ihn mir mit der einzigen Ermahnung, ich solle ihn ehrenhaft führen.“

 

Letztlich waren es aber nur wenige Männer, die sich dem nächtlichen Zug von Bonn nach Siegburg anschlossen: „Anneke fand, daß seine Truppe nicht ganz 120 Mann zählte, und konnte sich nicht enthalten, seiner Enttäuschung bitteren Ausdruck zu geben“, schreibt Schurz. Und als die Kolonne von einem Trupp Dragoner aus Bonn verfolgt wurde, befahl Anneke, „der offenbar der Kampffähigkeit seiner Schar nicht traute“, sich zu zerstreuen. 

 

Anneke hatte die Verfolger offenbar völlig überschätzt, denn es waren letztlich nur etwa 30 Dragoner. Aber die Aktion war gescheitert, und Schurz überkam ein „Gefühl grimmiger Beschämung“, weil das Unternehmen einen so „lächerlichen, schmachvollen Ausgang“ genommen hatte.

PfalzPfalz

„Die Lehrjahre waren zu Ende, die Wanderschaft begann.“

 

Carl Schurz

 

 

Während in Preußen alle Aufstandsversuche gescheitert waren, hatten die Revolutionäre in der Pfalz mehr Erfolg: Sie bildeten am 17. Mai in Kaiserslautern eine Provisorische Regierung.

Außenansicht der Fruchthalle in Kaiserslautern

Fruchthalle Kaiserslautern, Sitz der Provisorischen Regierung der Pfalz im Mai 1849

E.K., CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Fritz Anneke, Gottfried Kinkel und Carl Schurz machten sich daher in die Pfalz auf, um den dortigen Aufständischen ihre Dienste anzubieten. Kinkel fand Verwendung als einer der Sekretäre der Provisorischen Regierung. Anneke wurde Chef der pfälzischen Artillerie und erwirkte, dass Schurz zum Leutnant ernannt wurde. Auch die Kölner Frauenrechtlerin Mathilde Franziska Anneke reiste in die Pfalz und war im Stab ihres Mannes als Meldereiterin tätig. 

 

In Bonn übernahm unterdessen Johanna Kinkel anstelle ihres Mannes die Redaktion der Bonner Zeitung, die regelmäßig „Berichte aus der Pfalz“ veröffentlichte. Am 24. Mai meldete die Zeitung, der flüchtige Gottfried Kinkel werde steckbrieflich gesucht. Man beschuldige ihn, „sich an die Spitze einer bewaffneten Bande gestellt zu haben, um die in dem öffentlichen Zeughause zu Siegburg aufbewahrten Waffen zu plündern“.

BadenBaden

„So kam es, dass die erste militärische Operation, an der ich teilnahm, in einem Rückzug bestand.“

 

Carl Schurz

 

 

Doch existierte die Provisorische Regierung in Kaiserslautern nur wenige Wochen. Ihre Truppen waren nicht besonders stark, Schurz schätzte sie auf 7.000-8.000 Mann, außerdem waren sie schlecht bewaffnet und undiszipliniert. Als die preußische Armee am 12. Juni in die Pfalz einmarschierte, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich nach Baden zurückzuziehen, der letzten Bastion der Revolutionäre.

"Einzug der pfälzischen Freischaaren in Carlsruhe am 19. Juni 1849.", von: J. Richter, Prag, 1849. Rechts Mathilde Franziska Anneke

"Einzug der pfälzischen Freischaaren in Carlsruhe am 19. Juni 1849.". Rechts Mathilde Franziska Anneke

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_1880

In seinen Lebenserinnerungen schilderte Schurz den nächtlichen Rückzug und gestand, „dass mich das dumpfe Rollen der Räder auf der Straße, das summende und schurrende Geräusch der Marschkolonne, das leise Schnauben der Pferde und das Klirren der Säbelscheiden in der Finsternis als etwas besonders Romantisches berührte“. Offenbar empfand Mathilde Franziska Anneke dies ähnlich, denn Schurz schreibt: „Darin fand ich viel Sympathie bei der Frau meines Chefs.“

 

 

„Ich war zum ersten Mal ‚im Feuer‘. Ganz ruhig fühlte ich mich nicht.“

 

Carl Schurz

 

 

Mit der Abenteuerromantik war es jedoch bald vorbei. Nördlich von Karlsruhe war die badische Revolutionsarmee „unterdessen ins Gedränge gekommen“, so Schurz. Am 20. Juni zogen die pfälzischen Truppen los, um sie zu unterstützen. Es folgten mehrere Gefechte, die den Vormarsch der preußischen Armee jedoch nicht aufhalten konnten. Am 29. Juni wurde Gottfried Kinkel verwundet und von den Preußen gefangengenommen. 

RastattRastatt

Die allerletzte Bastion der Revolutionäre war die Festung Rastatt, die ihnen im Mai 1849 samt Waffen und Munitionsbeständen in die Hände gefallen war. Am 30. Juni schickte Fritz Anneke Carl Schurz in die Festung „mit einem Auftrage, Artilleriemunition betreffend“. Er solle dort auf ihn warten, er werde nachkommen. Doch Anneke erschien nicht, stattdessen erfuhr Schurz am Abend, dass die Preußen die Festung komplett umzingelt hatten.

Landkarte von Rastatt und Umgebung: "Plan des environs de Rastatt", ca. 1888

Landkarte von Rastatt und Umgebung (Ausschnitt): "Plan des environs de Rastatt", ca. 1888

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_1895

„Am 1. Juli waren wir so luftdicht abgeschlossen, daß keine Maus sich mit einem Brief durch den preußischen Zernierungskordon hätte durchschleichen können.“

 

Carl Schurz

 

 

Schurz war von seiner Truppe abgeschnitten und erhielt vom Festungskommandanten die Aufgabe, vom Schlossturm aus die Lage zu beobachten. Nicht nur 5.500 Soldaten und Freiwillige waren in der Festung Rastatt eingeschlossen, sondern auch Zivilbevölkerung. Nach dreiwöchiger Belagerung war klar, dass den Revolutionären nur die bedingungslose Kapitulation bleiben würde. Am 21. Juli 1849 schrieb Schurz an seine Eltern und Geschwister: „Wenn ihr diesen Brief lesen werdet, so zähle ich vielleicht zu den Toten, vielleicht bin ich in Gefangenschaft geschmiedet, die nur von großen Ereignissen wird gelöst werden können.“ 

Einmarsch preußischer Truppen in Rastatt, 1849

"Einmarsch preußischer Truppen in Rastatt", 1849

Digitalisate aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_176

„Es schien mir doch recht hart, aus der Welt gehen zu müssen, ehe ich etwas Tüchtiges und Würdiges darin geleistet hätte.“

 

Carl Schurz

 

 

Seine Stimmung am Tag vor der Kapitulation beschrieb er in seinen Lebenserinnerungen: „Es war ein schöner Sommertag. Nachmittags stieg ich noch einmal auf den Observationsturm, auf welchem ich so manche Stunde zugebracht hatte. Die herrliche Landschaft lag still vor mir im heitern, warmen Sonnenschein. Sie erschien mir sogar schöner als je zuvor. Es war mir, als müßte ich von ihr einen letzten Abschied nehmen. (…) Viele der kühnen Träume von großer, segensreicher Wirksamkeit, denen ich mich früher hingegeben, fielen mir wieder ein, und es schien mir doch recht hart, aus der Welt gehen zu müssen, ehe ich etwas Tüchtiges und Würdiges darin geleistet hätte.“

Flucht durch einen AbwasserkanalFlucht durch einen Abwasserkanal

Am Tag der Kapitulation fiel Carl Schurz plötzlich ein, dass er wenige Tage zuvor einen „unterirdischen Abzugskanal für das Straßenwasser“ gesehen hatte, der seiner Ansicht nach außerhalb der Festung enden musste. Er beschloss, gemeinsam mit seinem Burschen Adam und einem Artillerieoffizier namens Neustädter in den Kanal einzusteigen, um zu entkommen. Mit einem Laib Brot, zwei Flaschen Wein, einigen Würsten und Pistolen krochen die Männer in die „von Ziegelsteinen gemauerte Röhre etwa 4 – 4½ Fuß hoch und 3 – 3½ Fuß breit, so daß wir uns darin in einer unbehaglichen gehuckten Stellung befanden und, um uns fort zu bewegen, halb gehen, halb kriechen mußten.“

 

 

„Wir fühlten, wie das Wasser in unserm Kanal stieg und bald mit großer Heftigkeit, wie ein Gießbach, hindurchschoss.“

 

Carl Schurz

 

 

Die Flucht, die Schurz in seinen Lebenserinnerungen ausführlich beschrieben hat, war filmreif: Es fing an zu regnen, der Kanal füllte sich mit Wasser, die Männer wurden von Wasserratten bedrängt und stießen auf ein Gitter, durch das sie hindurchkriechen mussten. Als sie endlich am Ende des Kanals angekommen waren und ins Freie wollen, rief ein preußischer Wachposten: „Halt Werda!“. Damit war der Fluchtversuch gescheitert.

Zeichnung der Festung Rastatt und Fluchtweg des Lt. Carl Schurz aus der Festung Rastatt nach der Kapitulation am 26./27.07.1849

Zeichnung der Festung Rastatt und Fluchtweg des Lt. Carl Schurz aus der Festung Rastatt nach der Kapitulation am 26./27.07.1849

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_1915

Die Männer krochen zurück und versteckten sich drei Tage lang in einem Schuppen, bevor sie erneut in den Kanal stiegen. Dieses Mal ging alles glatt. Sie gelangten aus der Festung, liefen zum Dorf Steinmauern, überquerten den Rhein und erreichten den elsässischen Ort Seltz.

Stein zur Erinnerung an Carl Schurz' Flucht aus der Bundesfestung Rastatt in der Nacht vom 28.07.1849

Stein zur Erinnerung an Carl Schurz' Flucht aus der Bundesfestung Rastatt in der Nacht vom 28.07.1849

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_1925_3
Das Ende der RevolutionDas Ende der Revolution

Die Freiheitskämpfer in Rastatt mussten sich am 23. Juli bedingungslos auf „Gnade und Ungnade" ergeben. Sie wurden in den feuchten Kasematten der Festung inhaftiert. Viele erkranken an Ruhr, Typhus und Cholera oder erlagen ihren Verletzungen. Ab August tagte im Rastatter Schloss das Standgericht. Es verhängte 26 Zuchthausstrafen und 21 Todesurteile, von denen 19 vollstreckt wurden. Es war das endgültige Ende der Revolution von 1848/49 in Deutschland.