Liblar erinnert an Carl Schurz
Während der rheinische Revolutionär in Deutschland lange Zeit verhältnismäßig wenig Beachtung fand, hat Liblar ihn seit jeher geehrt. Dies war nicht immer unproblematisch.In der einst selbstständigen Gemeinde, die heute zu Erftstadt gehört, wurden eine Schule, eine Hauptstraße und ein Platz nach Carl Schurz benannt. Den Platz schmückt ein Sockel mit einer Bronzebüste, die der Kölner Bildhauer Heinz Geier zum 100. Geburtstag des Freiheitskämpfers schuf. Bei einer Feier am 3. März 1929 wurden das Denkmal und eine Gedenktafel am Geburtshaus von Carl Schurz feierlich enthüllt, wie der Bonner General-Anzeiger berichtete.
Die Gedenktafel am Geburtshaus hatte die Berliner Vereinigung Carl Schurz gestiftet, die 1926 als deutsch-amerikanische Freundschaftsgesellschaft gegründet worden war. Sie war auch in der Zeit des Nationalsozialismus aktiv und lud von 1934 bis 1939 amerikanische Akademiker nach Deutschland ein, die unter anderem den Heimatort des berühmten Deutsch-Amerikaners besuchten. Die Empfänge wurden vom NS-Regime propagandistisch inszeniert. So berichtete das Hamburger Fremdenblatt am 24. Mai 1936, die Austauschstudenten seien am Vortag in Liblar eingetroffen und hätten sich am Geburtshaus zu einer Feier versammelt: „Die Reichsrundfunkspielschar der HJ spielte darauf die amerikanische Nationalhymne“, während Max Ilgner, der Präsident der Vereinigung, „einen Kranz mit Hakenkreuzschleife an der Gedenktafel niederlegte, die mit der Hakenkreuzfahne und dem Sternenbanner geschmückt war.“ Der amerikanische Geschäftsträger habe „unter den Klängen des Deutschland- und des Horst-Wessel-Liedes“ einen Kranz mit Sternenbannerschleife niedergelegt.
Am 29. Mai 1939 hingen die Hakenkreuzfahne und das Sternenbanner im Innenhof von Schloss Gracht, als dort der 110. Geburtstag von Carl Schurz gefeiert wurde. Der Bonner General-Anzeiger druckte das Foto auf seiner Titelseite und berichtete, dass „außer Gauhauptstellenleiter Morschel, Konsul Franklin B. Atwood sprach“.
1948 fand eine der großen Gedenkveranstaltungen zum Jubiläum der Revolution von 1848 in Liblar statt. Und im Mai 1966 erinnerte eine zweiwöchige Ausstellung an Carl Schurz. Bei der Eröffnung hielt der Bonner Professor Max Braubach einen Vortrag über „Carl Schurz als Bonner Student“.
„Dem am 2. März 1829 in Burg Gracht bei Liblar geborenen Sohn eines Schulmeisters hat niemand an seiner Wiege singen können, daß er sein Leben als angesehener amerikanischer Staatsmann beschließen würde.“
Max Braubach, Historiker
Anlässlich des 150. Geburtstags von Carl Schurz gründeten engagierte Bürger*innen 1978 in Erftstadt-Liblar den Carl-Schurz-Kreis. Dieser erstellte eine Ausstellung über den Politiker, die 1979 in Erftstadt, Köln, Bonn, Bremen, Berlin, Landau, Rastatt und Freiburg gezeigt wurde. Zum 100. Todestag von Carl Schurz 2006 veröffentlichte der Vereinsvorsitzende Walter Keßler unter dem Titel Carl Schurz – Kampf, Exil und Karriere eine Biografie über ihn.
Seit Herbst 2023 steht das Denkmal für den Freiheitskämpfer auf dem neu gestalteten Carl-Schurz-Platz in Erftstadt-Liblar.
Auch in den Erftstädter Schulen war Carl Schurz häufig Thema. Im Schuljahr 1981/82 gab es eine interessante Kontroverse, als sich der Leistungskurs Geschichte des Städtischen Gymnasiums Erftstadt-Lechenich mit der Indigenenpolitik von Carl Schurz befasste und ein sehr kritisches Urteil fällte. Mit ihrer Projektarbeit bewarben sich die zwölf Schüler*innen um den mit 1.000 Mark dotierten Carl-Schurz-Schülerpreis der Stadt Erftstadt. In einem Begleitschreiben erklärte Oberstudienrat Detlef A. Behrend, der Leistungskurs habe sich bemüht, „das historische Geröll über dem Sohn dieser Stadt abzutragen“. Und er ahnte, dass „die eine oder andere überspitzte Formulierung unwillig registriert werden“ könnte.
Im Juni 1982 kam es im Stadtrat zu einer kontroversen Debatte, als die SPD-Fraktion beantragte, den Carl-Schurz-Preis an den Leistungskurs zu vergeben, weil sich die Schüler*innen nicht darauf beschränkt hätten, „den bedeutenden Sohn der Stadt mit dem Glorienschein eines Freiheitskämpfers zu versehen“. Walter Keßler, CDU-Stadtrat und Vorsitzender des Carl-Schurz-Kreises, bemängelte hingegen „falsche Namen, Daten und Fakten“ in den Aufsätzen und sprach von einer „Blamage“, sollte der Leistungskurs ausgezeichnet werden. Die Mehrheit des Rats entschied jedoch, der Preis gehe an die Schüler*innen, weil sie sich ernsthaft mit Schurz auseinandergesetzt hätten.
Die Schüler*innen nahmen in einem Leserbrief im Kölner Stadt-Anzeiger Stellung: „Bei voller Anerkennung von Schurzens Leistungen und mit Rücksicht auf hinderliche Umstände relativieren wir unserer Meinung nach lediglich die historisch falsche Verklärung zum Helden.“ Und sie machten ein Friedensangebot: „Sollte Herr Keßler jedoch als Vorsitzender des Carl-Schurz-Kreises besser informiert sein und ein differenziertes Urteil haben, würden wir gerne von ihm lernen.“ Zu einem Gespräch kam es jedoch nicht – die Schüler*innen hatten inzwischen ihr Abitur gemacht und waren in alle Winde zerstreut.
Gut 40 Jahre wiederholte sich der Streit – diesmal auf Bundesebene. Auslöser war eine Initiative von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der 2021 ankündigte, er wolle eine Schurz-Büste am Schloss Bellevue aufstellen. Bei der Vorstellung des von ihm herausgegebenen Buchs Wegbereiter der deutschen Demokratie – 30 mutige Frauen und Männer 1789 – 1918 sagte er: „In die Hauptstadt unserer Republik gehören nicht nur Siegessäulen, Feldherren und Monarchen, sondern auch die Wegbereiter der deutschen Demokratie!"
Das Bundespräsidialamt nahm Kontakt mit Erftstadt auf, und die Stadt ließ in der Kölner Kunstgießerei Schweitzer eine Replik der Liblarer Schurz-Büste anfertigen, die als Dauerleihgabe nach Berlin ging. Die Einweihung war für Mai 2022 geplant. Doch dann sagte das Bundespräsidialamt die Veranstaltung kurzfristig ab – laut Spiegel mit folgender Begründung: „Es sind Vorwürfe gegen Carl Schurz bekannt geworden, die sich insbesondere auf seine Amtszeit als Innenminister der Vereinigten Staaten von 1877 bis 1881 beziehen und die Verbringung von Kindern indianischer Ureinwohner in Internate betreffen."
Die Schurz-Büste landete im Kunstarchiv des Bundespräsidenten. Ihr weiteres Schicksal ist ungewiss. Im Mai 2023 schrieb der Leiter des Referats für historische Grundsatzfragen im Bundespräsidialamt an den Carl-Schurz-Kreis: „Die Aufstellung der Carl-Schurz-Büste im Schloss Bellevue, die wir im vergangenen Jahr verschoben haben, haben wir weiter im Blick.“