Rezeption von Carl Schurz in Deutschland
Carl Schurz ist heute in Deutschland weit weniger bekannt als in den USA. Er geriet vor allem anlässlich von Jahrestagen in den Blick und wurde je nach politischem Hintergrund geehrt, instrumentalisiert oder kritisiert.Zu Lebzeiten war Carl Schurz in Deutschland durchaus bekannt. So berichtete zum Beispiel der Bonner General-Anzeiger in den 1890er-Jahren immer wieder über wichtige Reden, die Schurz in den USA hielt. Aus Anlass seines 70. Geburtstags erschien am 1. März 1899 ein Artikel, der den „deutschen Landsmann in der Union“ umfassend würdigte.
Carl Schurz starb am 14. Mai 1906 in New York. Zwanzig Jahre später, am 18. Mai 1926, gründete sich in Berlin die Vereinigung Carl Schurz mit dem Ziel, „die geistigen und materiellen Beziehungen“ zu den USA zu pflegen. Ihr erster Vorsitzender war der Stuttgarter Industrielle Robert Bosch, zu seinen Stellvertretern zählte unter anderem Reichstagspräsident Paul Löbe.
Anlässlich des 100. Geburtstags von Carl Schurz fanden mehrere offizielle Würdigungen statt. Die Vereinigung Carl Schurz stiftete eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus in Liblar, die am 3. März 1929 feierlich enthüllt wurde. Der Reichstag hielt an selben Tag eine Feierstunde zu seinen Ehren ab. „An der Stelle, auf der sonst der Präsident des Reichstags seinen Platz hat, war eine Schurz-Büste des Bildhauers Professor Pilartz aufgestellt, davor Tannengrün und frische Blumen“, berichtete die Deutsche Allgemeine Zeitung. Und sie zitierte ausführlich aus der Rede, die US-Botschafter Jacob Gould Schurman im Reichstag hielt. Er bezeichnete Carl Schurz unter anderem als „moralischen Reformator“ und als „Deutschlands größte Gabe an Amerika“.
„Sein Andenken bleibt für beide Völker ein stolzer Besitz und ein Gegenstand der Achtung, Bewunderung, ja sogar Verehrung beider Völker.“
US-Botschafter Jacob Gould Schurman in einer Rede im Berliner Reichstag, 3. März 1929
Die Kölnische Zeitung veröffentlichte am 3. März 1929 eine Würdigung Schurz‘ von Gustav Stresemann. Darin betonte der Außenminister, dass die Gründung des Deutschen Reichs nicht möglich gewesen wäre ohne den Idealismus der 1848er-Bewegung, „der vorher den Gedanken der Einheit des Reichs in die Herzen und Hirne gehämmert hatte“.
Bereits am 2. März hatte in der Frankfurter Paulskirche eine „Karl Schurz-Feier“ stattgefunden, meldete der Bonner General-Anzeiger: „Dr. Theodor Heuss Berlin gab in der Festrede ein Bild der Entwicklung des Gefeierten.“
Nach der Machtübernahme instrumentalisierten die Nationalsozialisten die Berliner Vereinigung Carl Schurz. Ihr Vorsitzender wurde am 23. Januar 1934 Max Ilgner, damals Prokurist der I.G. Farben AG, später Vorstandsmitglied des Konzerns. Im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben verurteilte man ihn 1948 wegen „Plünderung und Raubs“ zu drei Jahren Haft.
Die Vereinigung Carl Schurz wurde in der Folge Teil des nationalsozialistischen Propagandaapparats mit dem Ziel, in den USA ein positives Deutschlandbild zu erzeugen. Im Mai 1934 weihte sie in Berlin ein Carl Schurz-Haus ein und lud im Sommer desselben Jahres amerikanische Akademiker zu einem Deutschlandbesuch ein. Über diese Reise wurde ein technisch aufwendiger, fast einstündiger Film mit englischem Kommentar produziert, der für Hitler-Deutschland werben sollte. Mit Carl Schurz hatte dieser Film nichts zu tun, abgesehen von einer kurzen Sequenz über eine Kranzniederlegung in Liblar.
Bis 1939 kamen jedes Jahr Professoren und Studenten aus den USA und besuchten dabei unter anderem den Geburtsort von Carl Schurz. Zur propagandistisch inszenierten Kranzniederlegung in Liblar 1936 schickte Propagandaminister Joseph Goebbels ein Telegramm. Darin wünschte er der Vereinigung Carl Schurz für ihre „weitere erfolgreiche Arbeit im Interesse der Festigung deutsch-amerikanischer politischer und kultureller Gemeinschaft“ alles Gute. Im selben Jahr wurde der zwölfminütige Film Liblar, die Geburtsstadt von Carl Schurz produziert.
Zehnjahresfeier der Vereinigung Carl Schurz (Berlin) und Anbringung der Carl-Schurz-Plakette an der Vorburg von Schloss Gracht, 23.05.1936
Digitalisate aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_1563„Nichts könne grotesker sein als eine Verwendung des Namens Carl Schurz in solcher Verbindung.“
Basler Nachrichten, 11. März 1935, über die Proteste von Verwandten und Freunden von Carl Schurz in den USA
Bereits ein Jahr zuvor hatten in den USA lebende Verwandte und Freunde von Carl Schurz „entschiedenen Einspruch“ dagegen erhoben, dass die Vereinigung Carl Schurz in Berlin, die „vom nationalsozialistischen Staate übernommen worden sei“, den Namen von Carl Schurz verwendete. Das berichteten die Basler Nachrichten am 11. März 1935. „Nichts könne grotesker sein“, heißt es in dem Artikel. Schurz sei in den USA „einer der größten Demokraten“ gewesen, „den Antisemitismus habe er stets an den Pranger gestellt“.
Der Protest blieb erfolglos. Doch löste sich die Vereinigung Carl Schurz im Januar 1942 auf, nachdem Deutschland den USA im Dezember 1941 den Krieg erklärt hatte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in der BRD wieder Bemühungen um die deutsch-amerikanische Freundschaft. Und der Name Carl Schurz stand erneut Pate – dieses Mal aber unter demokratischen Vorzeichen. 1948 wurde die Steuben-Schurz-Gesellschaft in Wiesbaden wiedergegründet, 1949 nahm der Carl Schurz Deutsch-Amerikanischer Club in Bremen seine Tätigkeit wieder auf. 1952 folgte die Gründung des Freiburger Amerika-Hauses, das sich später in Carl-Schurz-Haus/Deutsch-Amerikanisches Institut umbenannte.
Die Relevanz des berühmten Deutsch-Amerikaners wurde anlässlich seines 150. Geburtstags 1979 einmal mehr deutlich. Damals hielt Henry Kissinger in der Deutschen Botschaft in Washington eine Festrede, in der er Schurz als Vertreter des „German liberalism“ bezeichnete, der in den USA wie in Europa für „human dignity and individual freedom and democratic systems“ eingetreten sei.
„I am honored to have this opportunity to speak about a man who made such a great contribution to the United States.”
Henry Kissinger, anlässlich des 150. Geburtstags von Carl Schurz 1979
In vielen Städten wurden Straßen und Schulen nach Carl Schurz benannt. Die Deutsche Bundespost ehrte ihn 1952 und 1976 mit Briefmarken, und das ZDF strahlte 1968 den 90-minütigen TV-Spielfilm Carl Schurz aus (Regie: Rudolf Nussgruber). An der Frankfurter Paulskirche erinnert seit 1984 eine von der Steuben-Schurz-Gesellschaft gestiftete Gedenktafel an den „Streiter für Freiheit und Menschenwürde“.
(1) Flachrelief zum Gedenken an Carl Schurz an der Paulskirche in Frankfurt (2) Personen am Carl-Schurz-Brunnen in Rastatt (3) Plakette zum Tode von Carl Schurz, gestaltet von V.D. Bremer Vorders
Digitalisate aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_1925In den beiden vergangenen Jahrzehnten erschienen unter anderem Schurz-Biografien von Walter Keßler (Greven Verlag 2006) und Rudolf Geiger (Casimir Katz Verlag 2007) sowie eine aufwendige Neuausgabe der zweibändigen Lebenserinnerungen von Carl Schurz (Wallstein Verlag 2015). Doch sieht man von Erftstadt ab, ist der deutsche Revolutionär und amerikanische Staatsmann in der breiten Bevölkerung und selbst unter politisch und historisch Interessierten bis heute kaum bekannt.
Im Vorfeld des 175-jährigen Jubiläums der Revolution von 1848/49 erhielt Carl Schurz allerdings etwas mehr Aufmerksamkeit – der Kontext war jetzt eine lückenhafte demokratische Erinnerungskultur. So wurde er zum Beispiel in dem von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier herausgegebenen Band Wegbereiter der deutschen Demokratie (C. H. Beck Verlag 2021) von Uwe Timm vorgestellt. In seinem einfühlsamen Porträt schrieb der Schriftsteller: „In Berlin gibt es neun teils renovierte und frisch gereinigte Bismarck-Denkmale. Kein Denkmal erinnert an den Demokraten Carl Schurz.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zitierte diesen Satz bei der Buchvorstellung und kündigte an, am Schloss Bellevue, seinem Berliner Amtssitz, eine Kopie der Carl-Schurz-Büste aus Erftstadt aufzustellen. Das Vorhaben wurde 2022 jedoch abgesagt, nachdem Kritik an Carl Schurz laut geworden war. Die Vorwürfe bezogen sich vor allem auf seine Amtszeit als US-Innenminister, als Schurz unter anderem für „Indianerangelegenheiten“ zuständig war. Man warf ihm insbesondere vor, er habe die zwangsweise Assimilierung indigener Kinder gefördert.
Im Februar 2023 wurde in der Kämmerei in Frankfurt am Main ein Gedenkraum für Carl Schurz eingerichtet. Die rund 70 Exponate stellte die Steuben-Schurz-Gesellschaft zur Verfügung.