Carl Schurz erinnert sich an Liblar
Carl Schurz ist der berühmteste Sohn Liblars, Erftstadts und des Rhein-Erft-Kreises. Er selbst hat häufig auf seine rheinische Herkunft hingewiesen und Liblar in seinen Lebenserinnerungen beschrieben.In Liblar, das damals eine selbstständige Gemeinde war, wurde Carl Schurz 1829 als Sohn eines Lehrers und einer streng katholischen Mutter geboren. Hier verbrachte er seine Kindheit. Die Familie wohnte zuerst in der Vorburg von Schloss Gracht, da der Großvater „Burghalfe“ war, später zog sie in ein Haus auf der Liblarer Hauptstraße.
In seinen Lebenserinnerungen schilderte Carl Schurz, wie der Ort damals aussah: „Das Dorf bestand aus einer einzigen Straße, an dieser lag auch, etwa mittwegs, auf erhöhtem Platze die Pfarrkirche mit spitzem Turm. Die Häuser, meist sehr klein, waren fast alle aus Fachwerk gebaut – hölzernes Gebälk mit Lehmfüllungen – und mit Dachziegeln gedeckt. (…) Die Bewohner von Liblar, kleine Bauern, Tagelöhner, Handwerker mit einigen Wirten und Krämern, fanden in einer Eigentümlichkeit des Dorfes Grund zum Stolz: ihre Straße war gepflastert.“
„Ich schätze mich glücklich, meine früheste Jugend auf dem Lande verlebt zu haben, wo der Mensch nicht allein der Natur, sondern auch dem Menschen näher steht, als in dem Häuserpferch und dem Gedränge der Stadt.“
Carl Schurz
Für den jungen Carl Schurz war der Höhepunkt des Jahres das Schützenfest an Pfingsten, genauer gesagt das „Vogelschießen“ am Pfingstmontag. Dabei musste ein hölzerner Vogel auf einer Stange getroffen werden. Schurz beschrieb das in seinen Erinnerungen sehr lebhaft, insbesondere das Ende, wenn das letzte Stück Holz gefallen war. Denn dann zeigte der „Fähnrich von Liblar“, wozu er imstande war: Begleitet von „Hahnen Drickes rasender Trommelmusik“ schwang er die Fahne der Sankt-Sebastianus-Brüderschaft so heftig auf und nieder und hin und her, „bis ihm die Adern am Kopf zu springen drohten“.
Auch an das Gastspiel eines Puppentheaters in Liblar erinnerte sich Carl Schurz noch Jahrzehnte später. Die schöne Genoveva, um die es in dem Stück ging, habe einen so überwältigenden Eindruck auf ihn gemacht, dass er heiße Tränen vergossen habe. Er schildert das Dorfleben anschaulich und liebevoll, betont die enge Verbundenheit der Menschen in Liblar, macht aber auch deutlich, dass die Dorfbewohner keineswegs Hinterwäldler waren.
Als Kind hörte er aufmerksam den Gesprächen seines Vaters und seiner Onkel zu: „Diese Männer lasen ihre Zeitungen, interessierten sich für das, was in der Welt vorging und besprachen unter sich, wenn auch nicht mit besonderer Sachkenntnis, aber doch mit eifriger Teilnahme, die Ereignisse, die nah und fern die Menschheit bewegten.“ Dies habe in ihm schon früh „das Gefühl geweckt, daß wir in unserem kleinen Dorfe ein Teil einer großen Welt seien, deren Kämpfe uns angingen und unsere Aufmerksamkeit und Teilnahme verlangten“.
Und er erfuhr zum ersten Mal etwas über Amerika – nämlich als die Liblarer Bauernfamilie Trimborn beschloss, dorthin auszuwandern. „Da hörte ich denn zum ersten Male von dem unermeßlichen Lande jenseits des Ozeans, seinen ungeheuren Wäldern, seinen großartigen Seen und Strömen, von der jungen Republik, wo es nur freie Menschen gäbe, keine Könige, keine Grafen, keinen Militärdienst und, wie man in Liblar glaubte, keine Steuern.“
Auch sein Lieblingsonkel Jakob Jüssen, der Bürgermeister von Jülich war, wanderte nach Amerika aus und ließ sich in Watertown, Wisconsin nieder. Für Carl Schurz war dies später ein Grund, sich dort ein Grundstück zu kaufen und auch seine Eltern und Schwestern in Watertown anzusiedeln.
„Die gemeinsamen Erinnerungen an die Burg in Liblar und ihre Bewohner gaben uns Stoff zu manchem angenehmen Geplauder.“
Carl Schurz
Viele Jahre später kam es in Madrid zu einer kuriosen Begegnung, die Carl Schurz wieder an seine Kindheit in Liblar erinnerte. US-Präsident Abraham Lincoln hatte ihn 1861 als Botschafter nach Spanien geschickt. Dort angekommen, knüpfte Carl Schurz Kontakte zu anderen Diplomaten und traf dabei auch auf den Vertreter der preußischen Regierung. Dabei stellte sich heraus, dass Graf Galen ein Verwandter jenes Grafen Wolf-Metternich war, für den Schurz‘ Großvater gearbeitet hatte. „Als junger Mann hatte Graf Galen seine Verwandten in der ‚Gracht‘, der Burg von Liblar besucht und konnte sich meines Großvaters, des Burghalfen erinnern. Es erschien uns wie eine phantastische und heitere Schicksalslaune, daß ich, der Enkel des Burghalfen, nun am spanischen Hof als der diplomatische Kollege von Graf Wolf-Metternichs Verwandtem auftauchen sollte.“
Die beiden tauschten Erinnerungen an Liblar aus und verstanden sich gut. Das war nicht selbstverständlich, denn Preußen hatte Carl Schurz nur wenige Jahre zuvor wegen dessen revolutionärer Umtriebe verfolgt. Die „heitere Schicksalslaune“ hatte noch einen weiteren angenehmen Nebeneffekt: Denn Carl Schurz wollte im Dezember 1861 von Madrid nach Hamburg reisen, um dort seine Frau Margarethe und die beiden Töchter abzuholen. Da er nicht wusste, ob er noch gesucht wurde oder preußisches Gebiet gefahrlos durchqueren konnte, fragte er bei Graf Galen nach. Als die preußische Regierung dies genehmigte, fuhr er auf direktem Weg nach Hamburg und kam dabei auch durch das Rheinland: „Ich war noch völlig wach, als der Zug in den Bahnhof von Köln einlief, und konnte den Kirchenglocken lauschen, deren Klang mir aus meinen Jugendjahren so vertraut war. Und als wir dann über den geliebten alten Rhein fuhren, hörte ich seine Wasser im Dunkeln rauschen.“
Im Jahr 1889 besuchte Carl Schurz, inzwischen ein berühmter Politiker, auf einer Deutschlandreise auch Liblar. Er traf dort unter anderem seinen Jugendfreund Joseph Winterschladen wieder. Die beiden Männer waren so gerührt über ihr Wiedersehen nach all den Jahren, dass ihnen die Tränen kamen, wie Schurz in seinen Erinnerungen bekennt.