Neuanfang in den USA
Nach ihrer Ankunft in den USA 1852 ließen sich Carl und Margarethe Schurz zunächst in Philadelphia und dann in Watertown, Wisconsin, nieder. Während sie den ersten Kindergarten der USA gründete, startete er seine politische Karriere und trug dazu bei, dass Abraham Lincoln 1860 die Präsidentschaftswahl gewann.Carl Schurz und seine Frau Margarethe kamen am 17. September 1852 in New York an. Das Segelschiff „City of London“ hatte sie in 28 Tagen von England in die USA gebracht. Schurz blickte gelassen in die Zukunft: „Wir waren jung – ich dreiundzwanzig Jahre alt und meine Frau achtzehn – und viel konnte von der Anpassungsfähigkeit der Jugend erwartet werden.“ Er nahm sich vor, sich von keiner Enttäuschung entmutigen zu lassen, und vertraute dabei auf sein „elastisches rheinisches Blut“.
Das junge Paar ließ sich zunächst in Philadelphia nieder, und Carl Schurz brachte sich selbst Englisch bei. Seine Berufsaussichten waren unklar. In einem Brief an Charlotte Voß, eine Freundin Margarethes, schrieb er im Oktober 1852, er plane eine „juristische Carriere“, denn „die Lawyer sind die offiziellen Politiker des Volks“. In anderen Briefen ist davon die Rede, er wolle Zeitungsartikel schreiben, Vorträge halten und Bücher schreiben.
Der Historiker Daniel Göske hat darauf hingewiesen, dass der Start in Philadelphia viel beschwerlicher war, als Schurz dies in seinen Lebenserinnerungen darstellt: Er verschwieg unter anderem „seine gescheiterten Versuche, ein Geschäft aufzubauen (Instrumentenimport)“, und die „mühsam betriebene Einwanderung seiner Eltern“.
„Ich darf nicht dulden, daß man an den alten Häuptern meiner Eltern rächt, was man an mir nicht rächen kann.“
Carl Schurz
Carl Schurz hatte von Anfang an geplant, seine Eltern und Schwestern aus Bonn in die USA zu holen, denn seit der spektakulären Befreiung Gottfried Kinkels waren sie „fast ununterbrochen Chikanen und Trakaserieen von Seiten der preußischen Regierung ausgesetzt“. Weil Schurz, der Befreier, flüchtig war, hatten sich die Preußen an seinen Eltern gerächt: Soldaten waren in ihr Haus eingedrungen und hatten dort „furchtbarste Verwüstung“ angerichtet. „Gewaltsame und plötzliche Störungen des Geschäftslebens folgten Schlag auf Schlag“, hatte Schurz im April 1852 an Margarethes Bruder Heinrich Adolph Meyer geschrieben.
Die Eltern und Schwestern kamen schließlich im Frühjahr 1853 nach Philadelphia. „Die Großfamilie mietete ein Haus. Die beiden Schwestern eröffneten ein Modegeschäft“, schreibt der Historiker Rudolf Geiger. Der Schurz-Biograf berichtet außerdem: „Im Frühjahr 1853 war Margarethe hochschwanger. Sie wurde von düsteren Ahnungen heimgesucht und fürchtete, die Geburt nicht zu überleben. Am 3. Mai wurde ihr erstes Kind Agathe geboren. Glücklicherweise war ihre Furcht nicht begründet gewesen. Sie erholte sich schnell.“
Schurz selbst gibt in seinen Lebenserinnerungen kaum private Details preis. An einer Stelle heißt es zwar, er sei sich nicht so sicher, ob sich Margarethe, „deren Temperament nicht so sanguinisch war wie das meine“, so leicht wie er „in die Wechselfälle des Lebens in einem neuen Lande und in eine fremde gesellschaftliche Atmosphäre finden würde“, die gesundheitlichen Probleme seiner Frau und die Geburt seiner ältesten Tochter erwähnt er jedoch nicht.
„Hier fand ich mehr als anderswo das Amerika, das ich in meinen Träumen gesehen hatte: (…) eine neue Gesellschaft, gänzlich ungefesselt von irgendwelchen Traditionen der Vergangenheit.“
Carl Schurz über Watertown
Im Herbst 1854 besuchte Carl Schurz den Ort Watertown, 45 Meilen westlich von Milwaukee in Wisconsin, weil Verwandte dorthin ausgewandert waren: sein Onkel Jakob Jüssen, einst Bürgermeister von Jülich, und dessen Familie, darunter zwei verheiratete Töchter. Es lag also nahe, sich ebenfalls in Watertown anzusiedeln. Weil sich dort auch den Eltern und Schwestern von Carl Schurz familiärer Anschluss bot, kaufte er 1855 für sie ein Haus mit Garten, „von allen Seiten von Akazienbäumen beschattet“, wie er Margarethe erklärte. „Der Sitz vor der Tür (…) wird besonders von Mama mit Vorliebe benützt.“ Papa sei „im besten Humor“.
Die Schwestern Anna und Antonie eröffneten laut Rudolf Geiger in Watertown erneut ein Modegeschäft und wiesen in Zeitungsanzeigen darauf hin, „dass ihnen die neueste Mode der Ostküste geläufig sei“. Für sich und Margarethe kaufte Schurz eine Farm, auf der er ein Haus errichten ließ, „ein hübsches Landhaus auf einer sanften Anhöhe“, wie er an Kinkel schrieb. Außerdem hoffte er, einzelne Parzellen des Grundstücks gewinnbringend weiterverkaufen zu können.
„Wir hatten einen Gesangverein gegründet (…). Meine Frau, meine musikalisch ausgebildete Tante und eine meiner Schwestern waren unter den Vortragenden.“
Carl Schurz
Im Sommer 1856 zog die Kleinfamilie nach Watertown, und Margarethe Schurz lebte sich dort offenbar gut ein. „Meine Frau, die liebenswürdigste und anmutigste Wirtin, machte unser Haus zu einer Art geselligen Mittelpunkts für den großen Kreis unserer Verwandten und für eine Anzahl unterhaltender Menschen, die wir um uns versammelt hatten“, schreibt Carl Schurz in seinen Memoiren. Außerdem gibt es zahlreiche kulturelle Aktivitäten der überwiegend deutschstämmigen Bevölkerung von Watertown. Eher beiläufig erwähnt Schurz „das Erscheinen einer zweiten Tochter“.
Noch vor der Geburt der Tochter Marianne im März 1857 gab es jedoch eine wichtige Veränderung im Schurz’schen Haushalt, auf die er mit keiner Silbe eingeht: Margarethe hatte nämlich im Herbst 1856 einen Kindergarten gegründet – den ersten in den USA! Sie betreute ihre Tochter Agathe und andere Kinder zuerst zu Hause und später in einem kleinen Haus in Watertown gemäß der Prinzipien von Friedrich Fröbel: Kinder sollten nicht gedrillt werden, sondern so natürlich wie Gartenpflanzen aufwachsen.
Hingegen waren die Immobiliengeschäfte, die sich Carl Schurz erhofft hatte, weitgehend erfolglos. Als 1857 eine Wirtschaftskrise ausbrach, musste er vielmehr „um Stundung seiner Hypothekenzinsen nachsuchen“, so der Historiker Rudolf Geiger. „Käufer seiner Parzellen wollten von ihren Verträgen nichts mehr wissen“, und Schurz habe einsehen müssen, „dass er wenig Veranlagung zum Geschäftsmann besaß“. Tatsächlich lebte die Familie in den ersten Jahren in den USA hauptsächlich von Margarethes Erbe, das Schurz in seinen Memoiren allerdings an keiner Stelle erwähnt.
„Ich liebe Amerika, die Dinge um mich herum interessieren mich lebhaft, sie hören auf mir fremd zu sein. Ich finde, daß die Frage der Freiheit, wenn auch noch so verschieden in der Form, doch im Wesentlichen überall dieselbe ist.“
Carl Schurz, Brief an Gottfried Kinkel, 25. März 1855
Schon unmittelbar nach seiner Einwanderung nahm Schurz lebhaft Anteil am politischen Geschehen im Land. Als er 1854 erstmals Washington besuchte, bemühte sich der 25-jährige Migrant selbstbewusst um ein Treffen mit dem Kriegsminister, der ihn „sehr gnädig“ empfing, so Schurz. Es zeichnete sich bereits ab, dass aus ihm kein „lateinischer Farmer“ werden würde, wie man die deutschen Akademiker nannte, die sich dem Ackerbau widmeten.
An Gottfried Kinkel schrieb er am 25. März 1855: „Mein Interesse an den politischen Kämpfen dieses Landes ist stark und unwillkürlich genug, um mich mächtig aufzuregen.“ Und er deutet an, in Wisconsin eine politische Karriere als Sprachrohr der Deutsch-Amerikaner starten zu wollen: „Dort ist das deutsche Element mächtig durch die Zahl der Eingewanderten und ringt nach politischer Geltung.“
Der Historiker William E. Petig schreibt, dass Schurz in Watertown zunächst allerdings nicht sehr beliebt war, denn erstens ging er nicht zur Kirche und zweitens sympathisierte er mit den (damals fortschrittlichen) Republikanern, während die meisten Deutsch-Amerikaner aufseiten der Demokraten standen. Laut Schurz glaubten sie, die demokratische Partei würde „den Rechtsschutz der fremdgeborenen Bürger“ besser gewährleisten. Er hingegen lehnte die Demokraten ab, weil sie „unter dem Deckmantel allgemeiner Volksherrschaft“ die Sklaverei zuließen. Das republikanische Programm, das die Abschaffung der Sklaverei forderte, erschien ihm dagegen „wie ein Trompetenruf der Freiheit“.
„Endlich hat sich in den Vereinigten Staaten ein regelmäßiger, kräftiger Kampf gegen die Sklaverei entsponnen.“
Carl Schurz, Brief an Heinrich Adolph Meyer, 20. November 1856
Die „Sklavereifrage“ war daher auch Gegenstand der ersten politischen Rede, die Schurz in den USA hielt. Auf Bitten der Republikaner sprach er 1856 in Jefferson auf Deutsch zu Deutsch-Amerikanern. Die Rede stieß auf großes Echo. „Das Eis war gebrochen“, schreibt Schurz. Er wurde jetzt von allen Seiten zu Vorträgen und Wahlkampfveranstaltungen eingeladen. Noch konnte er nicht ahnen, dass öffentliche Reden zu seinen Hauptbeschäftigungen werden sollten – sein ganzes Leben lang.
Die ersten großen Ansprachen auf Englisch hielt Schurz im Herbst 1857, als er für das Amt des stellvertretenden Gouverneurs von Wisconsin kandidierte. Er war sich bewusst, dass er nur ein „Lockvogel“ war, um „deutsche Stimmen“ für die republikanische Partei zu sichern. Doch weil er glaubte, dies könne „der Anti-Sklavereisache dienen“, nahm er die Kandidatur an, verlor die Wahl allerdings knapp.
„Das Jahr 1958 war eine Periode großer Entwicklungen. Es offenbarte dem amerikanischen Volke die Persönlichkeit von Abraham Lincoln.“
Carl Schurz
1858 kam es zu einer denkwürdigen Begegnung: Carl Schurz lernte Abraham Lincoln kennen. Dieser wollte damals Senator in Washington werden und kandidierte in Illinois. Sein Gegner war der Sklavereibefürworter Stephen A. Douglas. Der Wahlkampf war hart, „und es war wirklich das ganze Amerika, das diesen Debatten lauschte“, so Schurz.
Am 12. Oktober traf er den Republikaner bei einer Zugfahrt und war überrascht über dessen äußere Erscheinung, die ihm „ungeschickt, um nicht zu sagen, grotesk“ erschien. „Aber er sprach in so einfacher, vertraulicher Weise, (…) daß mir bald zumute war, als habe ich ihn mein ganzes Leben gekannt und als wären wir schon lange gute Freunde gewesen.“ Lincoln verlor zwar gegen Douglas, hatte aber schon den Präsidentschaftswahlkampf 1860 im Blick.
„Meine Rede ist überall mit Bewunderung gelesen worden und hat die ganze intelligente Welt für mich gewonnen.“
Carl Schurz, Brief an Margarethe, 21. April 1859
Um endlich Geld zu verdienen, beantragte Schurz eine Zulassung als Rechtsanwalt und trat im Januar 1859 in die Kanzlei von Halbert E. Paine in Milwaukee ein. Dort war er aber kaum tätig, weil er sich immer wieder für die republikanische Sache engagierte. In Lincolns Präsidentschaftswahlkampf reiste er kreuz und quer durchs Land, um vor Zehntausenden Menschen zu sprechen.
In Briefen an seine Frau schilderte er die Strapazen der Reisen per Eisenbahn, Dampfschiff oder Pferdewagen: „Dutzendmal hatten wir aus dem Wagen auszusteigen, um die Räder, und zuweilen die Pferde, aus dem Schlamm zu ziehen.“ Doch berichtet er auch von „kolossalen Empfängen“, Fackelzügen und dem „Gesange deutscher Männerkehlen“ zu seinen Ehren. Allein in Chicago lauschten dem 31-jährigen Redner an einem Abend „mindestens 4000 Leute wie in einer Häringstonne zusammengepresst“.
Am 6. November 1860 wurde Abraham Lincoln zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Schurz hatte seinen Anteil an diesem Sieg. Doch war er „zu erschöpft, um (…) an dem republikanischen Freudenrausch teilnehmen zu können“, zumal bereits kurz danach klar wurde, dass wegen des Streits um die Sklaverei ein Bürgerkrieg drohte.