Kindheit, Jugend und Familie
Carl Schurz wuchs in Liblar auf, ging in Brühl und Köln zur Schule und hatte zeitlebens ein sehr enges Verhältnis zu seiner Familie.Carl Schurz wurde am 2. März 1829 in Liblar geboren, ein Dorf, das heute zu Erftstadt gehört und in der Nähe von Köln liegt. Er kam in der Vorburg von Schloss Gracht zur Welt, wo seine Großeltern und Eltern damals lebten, weil sein Großvater Heribert Jüssen für den Grafen Wolff-Metternich zur Gracht arbeitete. Als „Burghalfe“ hatte der Großvater Ackerland rund um das Schloss gepachtet, das er gemeinsam mit Knechten bewirtschaftete. Carl Schurz schreibt in seinen Lebenserinnerungen, sein Großvater sei „ein Mann von großer Autorität unter dem Volke“ gewesen: „Vom Dorfe und aus der Umgebung kamen die Leute zum Burghalfen, um sich bei ihm Rat zu holen.“
Seine Mutter Marianne Schurz (geb. Jüssen) schildert Carl Schurz als eine Frau „von ausgezeichneten natürlichen Eigenschaften“. Er lobt ihre „felsenhafte Rechtschaffenheit“ und die „ruhige Heiterkeit ihres reinen Gemüts“. Sie war zudem eine überzeugte Katholikin, die ihren Sohn immer wieder ermahnte, das Gebet nicht zu vergessen: Die Religion sei der Stab, auf den er sich stützen müsse, sie würde ihn von allen Irrwegen abhalten, schrieb sie ihrem zwölfjährigen Sohn in einem Brief.
Der Vater Christian Schurz war Lehrer in Liblar. Er nahm seinen ältesten Sohn Carl schon früh in die Dorfschule mit und unterrichtete ihn auch zu Hause. In der Wohnstube hingen Bildnisse von Schiller, Goethe, Wieland, Körner, Tasso und Shakespeare. Dichter, Geschichtsschreiber und Männer der Wissenschaft seien „Vaters Helden“ gewesen seien, schreibt Schurz. Sein Schulmeisteramt habe der Vater jedoch bald aufgegeben, weil es „elend bezahlt“ war. Die Familie zog in ein Haus an der Liblarer Hauptstraße, und der Vater machte in einem ehemaligen Kuhstall einen Eisenwaren- und Weinhandel auf. Zweimal pro Woche schickte der Vater Carl nach Brühl, um dort bei einem Kaplan Latein und bei einem Organisten Klavierspielen zu lernen.
"Ich schätze mich glücklich, (…) in einfachen, bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen zu sein, die den Mangel nicht kannten, aber auch nicht den Überfluß."
Carl Schurz
Carl Schurz hatte drei jüngere Geschwister: Heribert (geb. 1830), Anna Barbara (geb. 1833) und Antonie (geb. 1835). Mit acht Jahren kam Carl auf die Elementarschule in Brühl, die „als eine Musterschule galt“, wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt. Im Sommer ging er die etwa sieben Kilometer von Liblar nach Brühl jeden Tag zu Fuß hin und zurück, im Winter wohnte er bei einer Metzgerswitwe in Brühl und war nur am Wochenende zu Hause. „Bruder Carl mußte immer, wenn er Ferien hatte, viel Klavier spielen“, schrieb Antonie später im Rückblick. „Oft musste er auch Reden auswendig lernen und laut hersagen. Wie gut ist ihm das später bekommen!“ Ein schwerer Schlag traf die Familie im Januar 1838, als Carls Bruder Heribert im Alter von siebeneinhalb Jahren völlig überraschend an einer Lungenentzündung starb.
1839 wechselte Carl Schurz an das Marzellengymnasium in Köln, eine der ältesten Schulen im Rheinland. Es wurde damals wegen seiner Vorgeschichte auch Jesuitengymnasium genannt, heute heißt es Dreikönigsgymnasium. In seinen Lebenserinnerungen berichtet er ausführlich über seinen Latein- und Deutschlehrer Heinrich Bone, der ihn gelehrt habe, was einen guten Stil kennzeichne, nämlich „Klarheit, Anschaulichkeit und Direktheit“. Jahrzehnte später, auf einer Deutschlandreise im Jahr 1888, besuchte Carl Schurz seinen verehrten Lehrer noch einmal in Wiesbaden.
In Köln wohnte Carl „für eine billige Vergütung“ bei einem Schlossermeister. Weil er kein Taschengeld hatte, erfreute er sich an „Dingen, die sich mir frei boten“, wie zum Beispiel die Wallraf‘sche Gemäldesammlung in der Trankgasse: „Einige Zimmer waren mit Bildern der alten kölnischen Schule gefüllt, die mich, obgleich ich ihren kunstgeschichtlichen Wert nicht zu schätzen wußte, durch ihre Farbenpracht und die Naivetät der Darstellung anzogen.“
Auch in den damals noch unfertigen Dom ging er gern: „Sonntags morgens fand im Dom die sogenannte ‚musikalische Hochmesse‘ statt (…). Gewöhnlich wurde von einem vollständigen Orchester und ausgewählten Singstimmen eine Messe irgend eines bedeutenden Komponisten aufgeführt. (…) Ich erinnere mich, daß, wie ich still lauschend an eine der hohen Säulen gelehnt stand, mich etwas wie ein heiliger Schauer überlief. So dachte ich mir das, was ich die Sphärenmusik hatte nennen hören. Oder das Konzert der Himmelskinder, wie ich sie auf den alten Bildern des Wallrafmuseums gemalt gesehen.“
„O diese sorglose, sonnige, idealisch schwärmerische Jugendzeit mit ihren Freunden und Freuden! Wie schnell wurde sie mir von dem bittern Ernst des Lebens überschattet!“
Carl Schurz
Ein Jahr vor seinem Abschluss musste der 17-jährige Carl das Gymnasium in Köln aus finanziellen Gründen verlassen. Sein Vater hatte das Haus in Liblar verkauft und war mit der Familie nach Bonn gezogen, um dort eine neue Existenz zu gründen: Im unteren Teil eines geräumigen Hauses wollte er einen Mittagstisch für Studenten einrichten und in den oberen Stockwerken Zimmer vermieten. Doch als der Käufer des Liblarer Hauses plötzlich einen Rückzieher machte, konnte der Vater seine Zahlungen in Bonn nicht leisten und kam ins Schuldgefängnis.
„Das traf mich wie ein Donnerschlag“, schreibt Carl Schurz. Er verließ die Schule und widmete sich den Familienangelegenheiten: „Geldgeschäfte waren mir durchaus fremd und meiner Neigung zuwider. Doch ist die Not ein wunderbarer Schulmeister, und ich hatte die Empfindung, als wäre ich plötzlich um viele Jahre älter geworden.“ Schließlich wurden Lösungen mit den Gläubigern gefunden, und der Vater kam frei. Carl blieb jedoch in Bonn und machte sein Abitur am Marzellengymnasium 1847 als externer Schüler.
Noch bevor er sein Abschlusszeugnis in der Tasche hatte, besuchte er an der Bonner Universität als Gasthörer philologische und geschichtliche Vorlesungen, denn sein Berufswunsch war mittlerweile klar: Er wollte Professor der Geschichte werden und hatte dafür auch schon einen Karriereplan entwickelt. „Nach vollendetem Universitätskursus hoffte ich die erwerbslose Privatdozentenperiode bis zur Erlangung der Professur mit dem Ertrag literarischer Arbeiten überbrücken zu können.“
Doch dann kam alles anders, denn 1848 brach auch in Bonn die Revolution aus ...
Der junge Carl Schurz wusste, dass alle Hoffnungen der Familie auf ihm ruhten: „Ich sollte im Kampf ums Dasein die Stütze der Familie sein.“ Seine Mutter hatte ihn 1844 in einem Brief nach Köln daran erinnert, wie viel Geld sein Vater bereits in seine Bildung investiert habe, und ermahnt, er solle auch einmal an seine „armen Schwestergen“ denken. Carl Schurz war sich dieser Verantwortung bewusst und hatte zeitlebens ein sehr enges Verhältnis zu seiner Familie. Sowohl seine Eltern als auch seine beiden Schwestern Anna und Antonie folgten ihm später in die USA.