Großformatiges Porträt von Abraham Lincoln, veröffentlicht von: Fishel, Adler & Schwartz, New York, um 1860

Carl Schurz und Abraham Lincoln

Abraham Lincoln war sieben Jahre lang – bis zu seiner Ermordung 1865 – ein wichtiger Mentor, politischer Weggefährte und Freund von Carl Schurz.
Ich muß gestehen, daß ich von seiner Erscheinung etwas überrascht war."
Carl Schurz über seine erste Begegnung mit Abraham Lincoln
Erste BegegnungErste Begegnung

Carl Schurz lernte Abraham Lincoln 1858 in einem Zug kennen und schrieb darüber in seinen Lebenserinnerungen: „Er trug auf seinem Kopfe einen etwas zerknitterten Zylinderhut. Sein langer, sehniger Hals ragte aus einem Hemdkragen empor, der über eine schmale, schwarze Halsbinde zurückgeklappt war. Seine hagere, ungeschlachte Gestalt war von einem schwarzen, schon etwas schäbigen Frack bekleidet, mit Ärmeln, die hätten länger sein sollen. (…) Seine linke Hand hielt einen baumwollenen Regenschirm mit bauschigen Auswüchsen und auch eine Handtasche, welche die Spuren langen Gebrauchs zeigte.“

 

Lincolns äußere Erscheinung erschien Schurz zwar „ungeschickt, um nicht zu sagen, grotesk“, doch war er vom Wesen des Politikers tief beeindruckt: „Er sprach in so einfacher, vertraulicher Weise, und sein Auftreten und seine schlichte Ausdrucksweise waren so gänzlich frei von jedem Schein anspruchsvollen Selbstbewußtseins, daß mir bald zumute war, als habe ich ihn mein ganzes Leben gekannt und als wären wir schon lange gute Freunde gewesen.“

Tatsächlich sollte sich zwischen den beiden Männern eine private und politische Freundschaft entwickeln, die bis zum Mordanschlag auf Lincoln am 14. April 1865 andauerte. Ihre enge Zusammenarbeit begann, als Abraham Lincoln im Mai 1860 zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde und der damals 31-jährige Carl Schurz Mitglied des Teams war, das den Wahlkampf plante.

Wahlkampf für LincolnWahlkampf für Lincoln

„Von der Präsidentenwahl sprach er mit einer ruhigen und gemütlichen Unbefangenheit, als ob es sich um eine Kartoffelernte handelte.“

 

Carl Schurz über Abraham Lincoln, Brief an Margarethe vom 24. Juli 1860

 

 

Lincoln wohnte damals in Springfield in einem „bescheidenen Holzhaus“, so Schurz. Im Wohnzimmer stand „der damals übliche kleine Tisch mit einer Marmorplatte, darauf die Familienbibel oder das Photographiealbum und die silberplattierte Kanne für Eiswasser; an den Wänden waren einige Stühle und ein Sofa gereiht“.

 

Die Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten änderte nichts an Lincolns Bescheidenheit, wie Schurz am 24. Juli 1860 nach einem Besuch in Springfield an seine Frau Margarethe schrieb: „Er ist noch ganz dasselbe alte gemüthliche Haus wie früher, ebenso einfach und unbefangen. (…) Er trägt einen leinenen Sackrock und einen Hut von zweifelhaftem Alter, aber es sieht Alles an ihm reinlich und nett aus. (…) Von der Präsidentenwahl sprach er mit einer ruhigen und gemütlichen Unbefangenheit, als ob es sich um eine Kartoffelernte handelte.“

 

 

„To the extent of our limited acquaintance, no man stands nearer my heart than yourself.”

 

Brief von Abraham Lincoln an Carl Schurz, 18. Juni 1860

 

 

Die Wertschätzung beruhte offenbar auf Gegenseitigkeit, denn in einem Brief an Schurz vom 18. Juni 1860 begrüßte Lincoln dessen Plan für den Wahlkampf und versicherte ihm, in Anbetracht ihrer noch nicht allzu langen Bekanntschaft stehe niemand seinem Herzen näher als er. Schurz engagierte sich in den folgenden Monaten rastlos für Lincoln und trug zu dessen Sieg bei der Präsidentschaftswahl im November bei.

Vor seiner Amtseinführung als Präsident im März 1861 zog Lincoln Schurz einmal mehr ins Vertrauen, indem er ihm seine geplante Rede vorlas. „Wir diskutierten Punkt für Punkt und dann sagte er: ‚Now you know better than any man in this country how I stand and you may be shure that I shall never betray my principles and my friends‘“, berichtete Schurz Margarethe am 10. Februar 1861 aus Springfield. Und er fügte vorsichtshalber hinzu: „Dieses Vorlesen der Inaugurationsrede bleibt unter uns.“

Bild aus der Illustrated Times: "Inauguration of the Hon. Abraham Lincoln, as President of the United States, at Washington, on March 4 1861"

Amtseinführung von Abraham Lincoln am 4. März 1861 vor dem Kapitol in Washington, das sich noch im Bau befindet

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_1834
Lincoln als PräsidentLincoln als Präsident

Auch als Präsident empfing Lincoln Schurz häufig und „stets mit größter Herzlichkeit“, wie er in seinen Memoiren schreibt. Als Schurz Botschafter in Madrid wurde und später am Bürgerkrieg teilnahm, bat Lincoln ihn, sich jederzeit direkt an ihn zu wenden, um seine persönlichen Eindrücke mitzuteilen, was Schurz auch mehrfach tat. 

 

Dabei kam es durchaus zu Meinungsverschiedenheiten. Als Schurz dem Präsidenten 1862 während des Bürgerkriegs schrieb, man solle für die wichtigen Aufgaben im Heer nur fähige Männer wählen, war Lincoln verärgert und bestellte ihn ins Weiße Haus ein. Schurz zufolge war die Sache nach dieser Aussprache erledigt, sie „schieden als die besten Freunde“ und Lincoln ermunterte ihn, ihm weiterhin zu schreiben, „wenn der Geist Sie dazu treibt“.

 

Schurz schätzte diese souveräne Haltung Lincolns sehr. Über dessen Nachfolger Andrew Johnson schrieb er hingegen in seinen Lebenserinnerungen, dass dieser „im Gegensatz zu Lincoln“, zu den „unglücklichen Menschen“ gehöre, „bei denen Meinungsverschiedenheiten in irgend einer wichtigen Sache sofort persönliche Mißstimmung und eine Störung des freundschaftlichen Verhältnisses zur Folge hatte“.

Großformatiges Porträt von Abraham Lincoln, veröffentlicht von: Fishel, Adler & Schwartz, New York, um 1860

Großformatiges Porträt von "Abraham Lincoln", veröffentlicht von: Fishel, Adler & Schwartz, New York. Porträt um 1860

Digitalisat aus dem Greven Archiv Digital, Carl Schurz Archiv CSK_1953

In einem Brief an seinen alten Kölner Schulfreund Theodor Petratsch, der offenbar keine allzu hohe Meinung von Abraham Lincoln hatte, hob Carl Schurz am 12. Oktober 1864 die zahlreichen Vorteile des Präsidenten hervor. Zwar sei er „ein Mann ohne höhere Bildung“, „ein ausgewachsenes Naturkind“, das sich „nicht auf Redensarten und Attitüden“ verstehe. Doch sei er „ein Mann von tiefem Gefühl, richtigen und festen Grundsätzen und unbestechlicher Redlichkeit“. Lincoln sei „frei von Aspirationen des Genies“, und der gesunde Menschenverstand sei bei ihm „in einem wunderbaren Grade ausgebildet“. Und Schurz bekannte: „Ich habe ihn oft und hart getadelt, und nachträglich habe ich nicht selten gefunden, daß er Recht hatte.“

 

 

„Die Kinder derer, die ihn jetzt verfolgen, werden ihn segnen.“

 

Carl Schurz über Abraham Lincoln, Brief an Theodor Petrasch, 12. Oktober 1864

 

 

Bemerkenswert ist vor allem der Schluss von Schurz‘ Ausführungen: „Ich will eine Prophezeihung machen, die vielleicht in diesem Augenblicke sonderbar klingen wird. In fünfzig Jahren, vielleicht schon viel früher, wird Lincolns Name auf der Ehrenliste der amerikanischen Republik dicht neben den Washingtons geschrieben werden. Und da wird er für alle Zeiten stehen bleiben. Die Kinder derer, die ihn jetzt verfolgen, werden ihn segnen.“

 

Schurz konnte im Oktober 1864 nicht ahnen, dass Lincoln ein halbes Jahr später ermordet werden würde. Doch mit seiner Prophezeiung nahm er fast schon das Mount Rushmore National Memorial vorweg, das ab 1927 in den Berg gehauen wurde. Bereits zuvor stand Lincoln nicht nur „auf der Ehrenliste“, sondern hatte sogar einen eigenen Tempel bekommen: das Lincoln Memorial in Washington. Es wurde 1922 eingeweiht – 58 Jahre nach Schurz‘ Brief.

Mount Rushmore

Mount Rushmore Memorial: Washington links außen, Lincoln rechts außen

Thomas Wolf, www.foto-tw.de, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Würdigung LincolnsWürdigung Lincolns

„Der Mörder, der diese That getan, hat den besten Freund des Südens getötet. Es ist ein eigentlicher Vatermord.“

 

Carl Schurz, Brief an Margarethe, 18. April 1865

 

 

Abraham Lincoln starb am 15. April 1865, nachdem am Vorabend ein Fanatiker im Ford’s Theatre in Washington auf ihn geschossen hatte. Drei Tage später schrieb Carl Schurz an Margarethe, seit Lincolns Ermordung liege eine „düstere Stimmung“ auf seinem Gemüte: „Ein Donnerschlag aus heiterem Himmel hätte uns nicht unerwarteter, nicht furchtbarer treffen können. Der gute, gute Lincoln! (…) Der Mörder, der diese That getan, hat den besten Freund des Südens getötet. Es ist ein eigentlicher Vatermord.“

"Assassinat du President Lincoln. Dernier moments du Président Lincoln, entouré de sa famille et des hauts foncionnaires", 1865, aus: Le Monde Illustré. Präsident Lincoln auf dem Sterbebett nach dem Attentat, umgeben von Familie und Politikern

(1) Präsident Lincoln auf dem Sterbebett nach dem Attentat, umgeben von Familie und Politikern (2) "Die Nachricht von der Ermordung Lincolns erreicht London ("Times" Extrablatt)" (3) Beerdigung des Präsidenten Lincoln am 19.04. in Washington, D.C. (USA)

Digitalisate aus dem Greven Archiv Digital, Privatsammlung Kessler
"Angleterre - Effet produit à Londres par la nouvelle de la mort du président Lincoln", 06.05.1865. "Die Nachricht von der Ermordung Lincolns erreicht London ("Times" Extrablatt)"
"Amérique du Nord - Les funérailles du président Lincoln, célébrées à Washington le 19 avril", 19.04.1865. Beerdigung des Präsidenten Lincoln am 19.04. in Washington, D.C. (USA).

Schurz vermisste Lincoln nicht nur als Freund, sondern auch als politische Führungsfigur: „Er war in dem Augenblick hinweggerafft worden, als er am höchsten in der Achtung seiner Landsleute stand und ihre innigste Liebe und ihr größtes Vertrauen besaß“, heißt es in seinen Memoiren. „Alle, die bei seiner Wahl in ihm nur einen unbedeutenden Rechtsanwalt vom Lande gesehen oder ihn gar als bäurischen Witzbold hingestellt hatten, alle, die ihm während des Krieges Schwäche, zielloses Zaudern und verderbliches Schwanken vorgeworfen hatten, alle hatten endlich eingesehen, daß seine geduldige, großmütige, verständnisvolle und dem Volksempfinden Rechnung tragende Politik wohl im einzelnen anfechtbar, im ganzen aber die einzige sei, welche alle Kräfte der Union zusammenhalten und somit die Republik retten konnte.“

 

In ihrer Antwort erinnerte Margarethe ihn am 21. April an „alles was Lincoln Dir je gesagt, die kleinen Kämpfe, die ihr zusammen gehabt, und die frohen Stunden“. Lincoln sei nach Washington „unser größter Präsident und der größte Emancipator“, schrieb seine Frau. „Wie glücklich bin ich, daß Du ihm so treu gedient!“

 

 

„One of the greatest of Americans and the best of men.“

 

Carl Schurz über Abraham Lincoln

 

 

Im Juni 1891 nahm Carl Schurz das Erscheinen der Lincoln-Biografie von John G. Nicolay und John Hay zum Anlass, um im Atlantic Monthly ein langes Essay zu schreiben, das später auch als Buch erschien. Darin schilderte er ausführlich Lincolns Leben und würdigte dessen politische Verdienste. Im Schlusssatz bezeichnete er seinen Weggefährten als „one of the greatest of Americans and the best of men“ und setzte ihm damit auf seine Weise ein Denkmal.