1856–1868
Kampf gegen die Sklaverei
Die politische Karriere von Carl Schurz war zunächst von einem großen Anliegen geprägt: dem Kampf gegen die Sklaverei. Dafür engagierte er sich unermüdlich – als Redner, als Wahlkämpfer und als General im Bürgerkrieg.Carl Schurz strebte bereits unmittelbar nach seiner Ankunft in den USA eine politische Tätigkeit an. Als er 1854 erstmals Washington besuchte und dort den Kriegsminister, einige Senatoren und Journalisten traf, stellte der 25-Jährige selbstbewusst fest, dass er „nur Wenigen hier nachstehen würde“ und dass die Zeit dafür in einigen Jahren reif sein könnte. Es folgte eine beeindruckende politische Karriere – über ein halbes Jahrhundert, bis zu seinem Tod 1906.
Sie begann damit, dass sich Schurz als Wahlkämpfer für die Republikanische Partei engagierte, denn diese kämpfte – im Gegensatz zur Demokratischen Partei – entschlossen gegen die Sklaverei. Schurz setzte sich unermüdlich dafür ein, diesen „einzigen Flecken auf dem Wappenschild der Republik“ zu beseitigen.
Im September 1858 hielt er in Chicago auf einer Großveranstaltung der Republikaner eine große Rede zu diesem Thema. Unter dem Titel „Der unausweichliche Konflikt“ führte Schurz aus, dass die Sklaverei unvereinbar sei mit der Demokratie und diese bedrohe. „Die Rede wurde von der Presse hoch gelobt“, so der Schurz-Biograf Rudolf Geiger: „Die weit verbreitete New York Tribune druckte sie, mit einem begeisterten Kommentar, im Wortlaut. Es war eine Rede, von der eine Million Exemplare verteilt wurden und die nun ganz Amerika auf ihn aufmerksam machte.“
„Man sagt mir nach, daß ich Lincoln zum Präsidenten gemacht. Das ist nun gewiß nicht wahr, aber daß man mirs nachsagt, zeigt wohl, daß ich Einiges dazu beitrug.“
Carl Schurz, Brief an Theodor Petrasch, 24. September 1863
Die Forderung nach der Abschaffung der Sklaverei spielte auch im Präsidentschaftswahlkampf des Republikaners Abraham Lincoln eine zentrale Rolle. Carl Schurz unternahm 1860 eine 33.000 Kilometer lange strapaziöse Reise durch die USA, um Lincoln zu unterstützen, und wandte sich dabei insbesondere an die deutschstämmige Bevölkerung.
Dabei hielt er laut Geiger zwei wichtige Reden, „die besondere Aufmerksamkeit erregten, die er immer wieder variierte und die in Zeitungen und Flugschriften verbreitet wurden“. Im Sklavenstaat Missouri sprach er über den „Niedergang der Sklaverei“ und in New York griff er unter dem Titel „Die Anklageschrift“ den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und Sklavereianhänger Stephen A. Douglas an. „Es war eine Rede, die, von viel Applaus unterbrochen, die Versammlung drei Stunden lang in ihren Bann zog“, so Geiger.
Die Biografen sind sich einig, dass Schurz am Sieg Lincolns einen wichtigen Anteil hatte, ob es ein entscheidender Anteil war, ist umstritten. Er selbst schrieb später an seinen Freund Theodor Petrasch, man sage ihm nach, er habe Lincoln zum Präsidenten gemacht. Das sei zwar nicht wahr, doch habe er einiges dazu beigetragen, „um den Luftstrom in Bewegung zu setzen, der Lincoln in den Präsidentenstuhl trug und damit das System der Sklaverei in seinen Grundfesten erschütterte“.
„Das Getöse des Streits drang bis in meine Eremitage in Madrid.“
Carl Schurz, Brief an Theodor Petrasch, 24. September 1863
Nach dem Amtsantritt von Präsident Lincoln 1861 übernahm Carl Schurz erstmals ein politisches Amt: Der 32-Jährige wurde im Sommer Botschafter der USA in Spanien. In seinen Lebenserinnerungen gestand er, „daß der Gedanke mit allen Würden eines bevollmächtigten Ministers und außerordentlichen Gesandten der Vereinigten Staaten nach Europa zurückzukehren, wenige Jahre nur, nachdem ich mein Vaterland als politischer Flüchtling verlassen hatte, meinem Stolz, oder soll ich lieber sagen, meiner Eitelkeit, außerordentlich schmeichelte.“
Doch der Aufenthalt in Madrid war nur eine kurze Episode, denn in den USA tobte inzwischen der Bürgerkrieg zwischen der Union und den konföderierten Südstaaten, die aus der Union ausgetreten waren, weil sie die Sklaverei behalten wollten. Schurz hatte es kommen sehen. Schon im Dezember 1956 hatte er an seinen Freund Gottfried Kinkel geschrieben: „Wir haben den Geist des Jahrhunderts, eine begeisterungsfähige Idee und das Talent auf unsrer Seite, der Süden hat die Einigkeit und die Brutalität auf der seinigen. Ich weiß nicht, ob dieser Kampf ohne Pulver entschieden werden kann, ich glaube kaum.“
Carl Schurz bat Präsident Lincoln, im Bürgerkrieg kämpfen zu dürfen und kehrte Anfang 1862 in die USA zurück. Er war zunächst Brigadegeneral und wurde im März 1863 zum Generalmajor befördert, dem damals höchsten Rang in der Armee.
Der Schurz-Biograf Walter Keßler schreibt, Schurz habe zu den „politischen Generalen“ gehört: „Militärs, die aus überwiegend politischen Gründen ernannt werden.“ Auch Rudolf Geiger spricht von einer „Sonderstellung“: Erstens hatte Schurz einen direkten Draht zum Präsidenten, zweitens war er ein Seiteneinsteiger ohne richtige militärische Ausbildung, und drittens war er ein einflussreicher Politiker: „Er fühlte sich als Vertreter der Deutsch-Amerikaner, die mit über 170.000 Mann das größte nationale Kontingent von Freiwilligen in der Nordstaatenarmee stellten.“ All dies sei von den in der Militärakademie Westpoint ausgebildeten Offizieren kritisch beobachtet worden.
Außer Schurz kämpften auch viele andere 1848er-Flüchtlinge, genannt „Forty-Eigthers“, im Bürgerkrieg aufseiten der Union, wie zum Beispiel die badischen Revolutionäre Franz Sigel und Friedrich Hecker oder der ehemalige preußische Offizier Fritz Anneke, dessen Adjutant Schurz im Badischen Krieg gewesen war. Sie stellten deutsche Freiwilligenregimenter zusammen und übernahmen Führungsaufgaben.
„Es ist der Mühe wert, in diesen Zeiten zu leben.“
Carl Schurz, Brief an Margarethe, 1. Februar 1865
Durch die Niederlage der Konföderierten in der Schlacht von Gettysburg, an der Schurz teilnahm, wandte sich der Krieg 1863 zugunsten der Union. Offiziell beendet war er erst im April 1865, als die abtrünnigen Südstaaten kapitulierten. Lincoln hatte bereits zuvor im Kongress den 13. Verfassungszusatz durchgebracht, der die Sklavenhaltung verbot.
Carl Schurz, der die Abstimmung vor Ort verfolgte, berichtete seiner Frau Margarethe am 1. Februar 1865: „Die Gallerien waren gedrängt voll, und selbst die ‚Floor‘ des Hauses war mit Zuschauern gefüllt. Alle erhoben sich, wie auf ein Commandowort. Die Damen schwenkten ihre Taschentücher, die Herren warfen ihre Hüte in die Höhe, und man umarmte sich.“ Ihm sei in diesem Moment bewusst geworden, dass es der Mühe wert sei, „in diesen Zeiten zu leben“ und für große Ideen zu arbeiten.
„Das südliche Volk hat seine Pro-Sklaverei-Gesinnung nicht aufgegeben.“
Carl Schurz, Brief an Friedrich Althaus, 25. Juni 1865
Nach der Ermordung Abraham Lincolns wurde Andrew Johnson US-Präsident. Seine Politik zur „Rekonstruktion“ der Südstaaten sah vor, diesen Selbstbestimmungsrechte ohne Auflagen zu gewähren. Schurz kritisierte dies scharf, denn er befürchtete, dass die Südstaaten die Sklavenwirtschaft wieder einführen könnten, wie er am 25. Juni 1865 an seinen Freund Friedrich Althaus schrieb: „Das südliche Volk (…) unterwirft sich der Abschaffung der Sklaverei, weil es muß. Sobald es aber seine staatliche Autonomie wieder errungen hat, wird es in den ehemaligen Sklavenstaaten die Stellung der ehemaligen Sklaven in einer Weise fixieren, die der Sklaverei so nahe als möglich kommt.“
Auf Bitten Johnsons übernahm Schurz im Sommer eine Reise durch den Süden, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Er sammelte Informationen von allen Seiten und fasste diese unter dem Titel Report on the Condition of the South. zusammen. Schurz schrieb später in seinen Lebenserinnerungen, er sei überzeugt, „daß dieser Bericht das Beste ist, was ich je in öffentlichen Angelegenheiten geschrieben habe“.
„Von überall her drang die Kunde von blutigen Mißhandlungen der Schwarzen.“
Carl Schurz über die Lage in den Südstaaten
Die Reise hatte seine Befürchtungen bestätigt: „Ein Pflanzer aus Georgia z.B. beschwerte sich laut darüber, daß einer seiner Schwarzen verweigert habe, sich eine Tracht Prügel geben zu lassen, und damit habe dieser Mensch doch zur Genüge bewiesen, daß er für die Freiheit noch nicht reif sei.“ Die Weißen würden einfach nicht akzeptieren, dass ihre früheren Sklaven jetzt freie Leute seien: „Von überall her drang die Kunde von blutigen Mißhandlungen der Schwarzen. Ich habe selbst dergleichen Fälle geprüft und in traurigen Spitälern schwarze Männer und Frauen gesehen, denen die Ohren abgeschnitten, die Körper mit Messerstichen verwundet, mit Peitschen und Knüttelhieben blutig geschlagen, oder mit Schrotschüssen gespickt waren.“
Auch der Plan der Nordstaaten, Schwarzen Schulbildung zu ermöglichen, stieß auf Widerstand: „Wenn sie nicht unter dem unmittelbaren Schutz der Unionstruppen standen, wurden die Schulgebäude in Brand gesetzt und die Lehrer vertrieben.“ Schurz forderte deshalb, die Unionstruppen in den Südstaaten zu belassen, „nicht nur zur Verhütung von heftigen Zusammenstößen, sondern auch um die ehemaligen Herren und die ehemaligen Sklaven auf den Weg des friedlichen Zusammenarbeitens als Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu bringen.“ Notwendig sei außerdem das Wahlrecht für die Freigelassenen, „um sich selbst zu schützen und als wahlberechtigte Bürger eine gewisse Macht in der Regierung auszuüben.“
„Präsident Johnson wollte augenscheinlich mein Zeugnis über die Verhältnisse im Süden unterdrücken.“
Carl Schurz
Präsident Johnson ignorierte den Bericht über die Südstaaten, weil er ihm nicht passte. Am 5. Dezember 1865 schrieb Carl Schurz an Margarethe: „Er hat mich offenbar dazu gebrauchen wollen, ihn in seiner Politik zu unterstützen, und ärgert sich nun, daß ihm das Resultat meiner Reise als Hinderniß im Wege steht.“ Doch nicht zuletzt die gewaltsamen Ausschreitungen in Memphis ein Jahr später gaben Schurz recht. „Seit meiner Rückkehr aus dem Süden offenbarten sich immer mehr die bösen Folgen der Ermutigung, welche Johnson dem im Süden herrschenden reaktionären Geist angedeihen ließ“, so Schurz in seinen Memoiren.
Nach dem Bruch mit Johnson war die politische Karriere von Carl Schurz erst einmal beendet. Er wandte sich dem Journalismus zu, beharrte aber auf seinen Forderungen nach Wahlrecht und Bildungschancen für Schwarze: „There are two things which must be considered the main pillars of democratic republican institutions, — self-government on the broadest basis, exercised by suffrage, and popular instruction”, schrieb er in seinem Artikel „The true problem“, der im März 1867 im Atlantic Monthly erschien.
Schurz war klar, dass er einen langen Atem benötigte. Seinem Freund Gottfried Kinkel erklärte er in einem Brief vom 24. Februar 1868: „Wenn man eine so große soziale Revolution, wie die Sklavenemanzipation gemacht hat, so muß man nicht am andern Tage einen vollkommen glatten Wasserspiegel erwarten.“ 1870 erhielten männliche Schwarze durch den 15. Verfassungszusatz endlich das Wahlrecht.