Otto von Bismarck, 1886

Carl Schurz und Otto von Bismarck

Otto von Bismarck stand der Revolution von 1848/49 äußerst feindselig gegenüber und wollte Carl Schurz verhaften lassen. Umso erstaunlicher ist, dass sich beide viele Jahre später zum politischen Austausch in Berlin trafen.
Bismarck lässt nach Schurz fahndenBismarck lässt nach Schurz fahnden

Sommer 1851: Die Revolution in Deutschland war niedergeschlagen. Es gab eindeutige Gewinner wie Otto von Bismarck und eindeutige Verlierer wie Carl Schurz. Die persönliche Situation der beiden Männer hätte gegensätzlicher kaum sein können. 

 

Otto von Bismarck war 36 Jahre alt und stand am Anfang seiner Karriere als Berufspolitiker. Er war streng konservativ und monarchietreu, hatte die Forderung der 1848er-Revolutionäre nach Freiheitsrechten strikt abgelehnt und die blutige Niederschlagung der Aufstände befürwortet. 1851 ernannte ihn der preußische König Friedrich Wilhelm IV. zum Gesandten im Bundestag in Frankfurt – als Berufsdiplomat vertrat Bismarck die Interessen Preußens im Deutschen Bund.

Carl Schurz war 22 Jahre alt und politischer Flüchtling. Er hatte sich im Rheinland, in der Pfalz und in Baden mit Feuereifer an der Revolution beteiligt und war der Verfolgung durch die Preußen in letzter Sekunde entkommen. Im Sommer 1851 lebte er mittellos in London im Exil und wusste nicht, was aus ihm werden sollte. In Deutschland genoss er allerdings eine gewisse Berühmtheit, weil er ein gutes halbes Jahr zuvor Gottfried Kinkel in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem Zuchthaus in Spandau befreit hatte.

Die preußischen Behörden waren auf der Hut. Sie befürchteten im Sommer 1851, die revolutionäre Bewegung könnte erneut aufflammen – gesteuert von den zahlreichen Emigranten, die sich im europäischen Ausland aufhielten. Carl Schurz stuften sie dabei als „sehr gefährlich“ ein – schließlich hatte er mit seiner Befreiungsaktion in Spandau die Polizei der Lächerlichkeit preisgegeben.

 

 

„Einer der thätigsten Agenten.“

 

Otto von Bismarck über Carl Schurz, 31. Juli 1851

 

 

Als Gesandter hatte Otto von Bismarck auch die Aufgabe, die preußischen Verwaltungs- und Polizeiorgane über Nachrichten anderer Botschaften am Bundestag zu informieren. Am 31. Juli 1851 teilte er dem preußischen Kommandanten in Mainz in einem eigenhändigen Schreiben mit, „daß der politische Flüchtling Carl Schurz, einer der thätigsten Agenten (...) sich seit 8 oder 9 Tagen entweder in Bonn oder in einem Dorf in der Umgebung (…) aufhält". Er bat den Kommandanten, diese Nachricht an das Oberpräsidium in Koblenz weiterzuleiten und betonte eindringlich die besondere Wichtigkeit der Angelegenheit. 

 

Bismarcks Eifer, Schurz zu verfolgen, führte jedoch nicht zum Ziel – man konnte den politischen Flüchtling nicht finden. Am 4. August 1851 teilte der Oberpräsident dem preußischen Gesandten mit, die Maßnahmen seien erfolglos gewesen.

 

 

„Größe 5 Fuß 9 Zoll, Haare blond, Stirn frei, Augenbrauen blond, Augen grau, Nase klein, Mund gewöhnlich, Bart Schnurrbart noch schwarz, Kinn länglich, Gesichtsbildung länglich, Gesichtsfarbe gesund".

 

Steckbrief von Carl Schurz, 1851

 

 

Im Landeshauptarchiv Koblenz wird nicht nur dieser Briefwechsel aufbewahrt, sondern auch der Steckbrief, mit dem Carl Schurz gesucht wurde. Demnach war der flüchtige Rheinländer relativ groß, hatte blonde Haare und Augenbrauen, aber einen schwarzen Schnurbart. Da er offenbar ein Allerweltsgesicht hatte, gaben die Behörden noch ein besonderes Kennzeichen an: „pflegt Brille zu tragen“.

Schurz hält sich von Deutschland fernSchurz hält sich von Deutschland fern

Der Steckbrief wurde auch nach der Auswanderung von Carl Schurz in die USA aufrechterhalten. Als das Ehepaar Schurz 1855 eine Europareise unternahm, besuchte lediglich Margarethe ihre Verwandten in Hamburg, während Schurz direkt von London aus die Heimreise antrat. 

 

Einem Brief an seine Frau vom 5. November 1855 lässt sich entnehmen, dass selbst sie in Deutschland von der Polizei beschattet wurde: „Dein Abenteuer mit der preußischen Polizeiperson (…) zeigt mir, daß ich nicht mit Unrecht fürchte. Welch eine Kleinlichkeit vonseiten der Regierung! (…) Nicht einmal die Frauen in Ruhe lassen zu können und sie mit Dingen zu quälen, über die fünf Jahre hingegangen sind.“

 

Schurz verfolgte Bismarcks Karriere in den folgenden Jahren aufmerksam und bewertete dessen politische Vorstellungen äußerst kritisch. An seinen Schwager Heinrich Meyer schrieb er am 10. Juni 1866, „daß Führer, w e l c h e  d i e  P o l i t i k   v e r s t e h e n, dem Volke in drei Monaten ein deutsches Parlament verschaffen könnten, um dessen Gunst die Fürsten buhlen müßten. (…) Freilich, solange unter den politischen Größen Deutschlands Bismarck der einzige ist, der Ideen hat, die jedoch unglücklicherweise falsch sind, was läßt sich da erwarten?“ 

 

 

„Ich glaube nicht, daß ich zu den Amnestierten gehöre.“

 

Carl Schurz, Brief an Margarethe, 26.Oktober 1867

 

 

Als sich Margarethe mit den beiden Töchtern 1867 in Wiesbaden aufhielt, plante Schurz, seine Familie an Weihnachten zu besuchen. Im Vorfeld bat er den US-Botschafter in Berlin, sich bei den preußischen Behörden zu erkundigen, ob er einreisen könne, ohne verhaftet zu werden. In einem Brief an Margarethe vom 26. Oktober 1867 heißt es: „Ich glaube nicht, daß ich zu den Amnestierten gehöre, und obgleich es nicht wahrscheinlich ist, daß man daran denken wird, mich einzustecken, so ist es doch besser sich in solchen Dingen vorher sicherzustellen.“ 

 

Die preußische Regierung erlaubte seinen Aufenthalt. Und zu Schurz‘ großer Überraschung wurde er in Wiesbaden vom Polizeipräsidenten „in der liebenswürdigsten Weise“ empfangen. Noch größer war seine Verwunderung, als er im Januar 1868 nach Berlin reiste und dort „eine eigenhändige Einladung des Grafen Bismarck“ erhielt, ihn „im Kanzlerpalais in der Wilhelmstraße“ zu besuchen.

Besuch bei BismarckBesuch bei Bismarck

„Es lag ein eigenartiger Zauber in der Gegenwart des Riesen, der bei aller Größe doch so menschlich erschien.“

 

Carl Schurz über Otto von Bismarck

 

 

Der Besuch im Kanzlerpalais fand im Januar 1868 statt. Seit Otto von Bismarcks Anweisung, in Bonn und Umgebung nach Carl Schurz zu fahnden, waren gut 16 Jahre vergangen. Bismarck war inzwischen Kanzler des Norddeutschen Bunds und preußischer Ministerpräsident. Schurz hatte zum Zeitpunkt des Treffens zwar kein politisches Amt inne, war jedoch als US-Botschafter in Spanien und als General im amerikanischen Bürgerkrieg bekannt geworden. Man darf annehmen, dass sich der 39-Jährige ähnlich geschmeichelt fühlte, wie einst bei seinem Amtsantritt in Madrid: Er war verfolgt worden, hatte Europa als politischer Flüchtling verlassen, und wurde nun ehrenvoll empfangen – ein später Triumph.

Black and white photograph of a frontal view of Chancellor Bismarck's Palace (Reichskanzlei) on the Wilhelmstrasse in Berlin, 1878?.

Kanzlerpalais in der Wilhelmstraße

Berlin Photographic Co., via Wikimedia Commons

In seinen Lebenserinnerungen schilderte Schurz seinen ersten Eindruck von Bismarck: „Da stand er also vor mir, der große Mann, dessen Name die ganze Welt erfüllte.Er war von hohem Wuchs, gerade aufgerichtet, breitschultrig; auf dem Hünennacken saß der gewaltige Kopf, der aus Bildern allgemein bekannt ist; die ganze Gestalt machte einen imponierenden, reckenhaften Eindruck. Er war damals dreiundfünfzig Jahre alt und auf der Höhe seiner körperlichen und geistigen Kraft.“ 

 

 

„Sie sind Rheinländer. Diesen Tropfen werden Sie zu schätzen wissen.“

 

Otto von Bismarck zu Carl Schurz 1868

 

 

Bismarck empfing Schurz in seinem Arbeitszimmer, das mit Büchern und Papieren übersät war, und forderte ihn auf, in einem bequemen Lehnstuhl Platz zu nehmen. Er bot ihm eine gute Havanna-Zigarre an, öffnete einen Wein und kredenzte ihn mit den Worten: „Sie sind Rheinländer. Diesen Tropfen werden Sie zu schätzen wissen.“

Den Memoiren lassen sich auch viele weitere Details des Treffens entnehmen. Demnach war zu Beginn die Fahndung nach Schurz Thema, wenngleich nur indirekt. Bismarck sagte, er glaube, Schurz Anfang der 1850er-Jahre in einem Zug von Frankfurt nach Berlin gesehen zu haben. Den anschließenden Dialog gibt Schurz wie folgt wieder: „Ich entgegnete, dies wäre nicht möglich, da ich zu jener Zeit nicht in Deutschland gewesen sei. ‚Übrigens‘, fügte ich, vielleicht ein wenig kühn, hinzu, ‚hätten Sie mich dann nicht als Übeltäter arretieren lassen?‘ ‚O nein‘, rief er mit gutem, herzlichen Lachen aus, ‚da kennen Sie mich schlecht. So etwas hätte ich nicht getan. Sie meinen wegen der Sache mit Kinkel? O nein, die hat mir Spaß gemacht.‘“

 

Nach diesem so diplomatischen wie leutseligen Auftakt tauschten sich die beiden Männer über die politische Lage in Deutschland und Europa aus. Schurz war über Bismarcks unerwartete Vertraulichkeit verblüfft: „Als wenn wir unser Lebelang vertraute Freunde gewesen wären, enthüllte er mir, anscheinend ganz rücksichtlos und mit übersprudelnder Lebhaftigkeit, Bilder von Vorgängen, die sich hinter den Kulissen (…) abgespielt hatten.“ Als er sich nach Mitternacht verabschieden wollte, bemerkte Bismarck, sie hätten ja noch gar nicht über Amerika gesprochen und lud ihn für den nächsten Abend erneut ein.

Auch das zweite Gespräch endete erst lange nach Mitternacht. Bismarck wollte wissen, ob Schurz immer noch überzeugter Republikaner sei, nachdem er nun die USA von innen heraus kennengelernt habe. Schurz erwiderte, dass er „zwar die Republik nicht in allen Teilen so schön und lieblich gefunden“ habe, wie er sie sich in seiner jugendlichen Begeisterung vorgestellt hatte. Sie sei „praktischer in ihren Wohltaten für die große Menge und viel konservativer in ihren Tendenzen“ als gedacht, doch sei er immer noch ein überzeugter Republikaner. Dagegen erklärte Bismarck: „Ich bin kein Demokrat und kann es nicht sein. Ich bin als Aristokrat geboren und erzogen.“ 

 

 

„Es ist doch wirklich spaßig, daß wir hier so ruhig zusammensitzen und Cigarren rauchen. Das hätte sich keiner von uns Beiden vor 15 Jahren träumen lassen.“

 

Otto von Bismarck zu Carl Schurz 1868

 

 

Trotz ihrer fundamentalen Gegensätze waren offenbar beide Politiker sehr voneinander beeindruckt. Wenige Tage nach seinem Besuch im Kanzlerpalais schrieb Schurz einen Brief an seinen Schwager Heinrich Meyer und zitierte darin Bismarck mit den Worten: „Es ist doch wirklich spaßig, daß wir hier so ruhig zusammensitzen und Cigarren rauchen. Das hätte sich keiner von uns Beiden vor 15 Jahren träumen lassen.“ 

 

An Gottfried Kinkel schrieb Schurz nach seiner Rückkehr aus Berlin: „Er ist unzweifelhaft ein sehr bedeutender Mensch. (…) Möglicherweise hängen ihm seine anerzogenen Feudalideen noch nach. Das ist nicht sehr gefährlich, denn in unserm industriellen Zeitalter würde der Versuch einer feudalen Reaktion doch nur eine Don Quixotiade sein. Man hat ihn für einen frivolen Menschen gehalten. Meiner Meinung nach ist er das nicht, oder wenn er es gewesen ist, so ist er es nicht mehr.“

Erneutes Treffen in BerlinErneutes Treffen in Berlin

Zwanzig Jahre später, im Mai 1888, kam es zu einem weiteren Treffen in Berlin. Bismarck war 73 Jahre alt und hatte als „Gründer“ des Kaiserreichs und Reichskanzler seinen politischen Zenit erreicht. Der 59-jährige Schurz hatte Amtszeiten als Senator und Innenminister hinter sich und war inzwischen als Journalist und Publizist tätig.

Otto von Bismarck, 1886

Bismarck am Schreibtisch, 1886

A. Bockmann, Lübeck, via Wikimedia Commons

Das Treffen sei in „geradezu familiärer Atmosphäre verlaufen“, schreibt der Schurz-Biograf Walter Keßler. Laut dem Historiker Rudolf Geiger widmete Bismarck dem Gast am 4. Mai 1888 einen ganzen Nachmittag und lud ihn am nächsten Tag zu einem Diner ein. In der Gartenlaube aus Leipzig hieß es: „Der freundliche Empfang, welchen unser Reichskanzler dem hervorragenden nordamerikanischen Staatsmann zu theil werden ließ, beweist, wie sehr sich die Zeiten geändert haben.“

Carl Schurz gezeichnet von C. W. Allers am 8. Mai 1888

Schurz, 1888, Zeichnung aus der Gartenlaube

via Wikimedia Commons

Der General-Anzeiger für Bonn und Umgegend erinnerte Jahre später noch einmal an die Begegnung der beiden so gegensätzlichen Männer. In einem Artikel zum 70. Geburtstag von Carl Schurz am 2. März 1899 schrieb der Autor: „Fürst Bismarck, der 1848 seinem eigenen Geständnisse nach die Revulutionäre alle gern gehängt hätte, und Carl Schurz, der Flüchtling, Volksredner und Revolutions-Officier aus dem tollen Jahre, in friedlichem und respectvollem Beisammensein – welch‘ ein Bild!“